Bei häuslicher Gewalt muss die Polizei eingreifen
Bisher galten gewalttätige Übergriffe zu Hause als Privatsache. Ab 1. April wird solche Gewalt auch in der Schweiz von Amtes wegen verfolgt.
Einige Kantone planen zudem ein Wegweisungsrecht, um Täter von der Wohnung fernzuhalten.
Ein Fall in Frankreich bewegt die Öffentlichkeit, obwohl die Tat an sich nicht aussergewöhnlich ist: Ein Mann steht vor Gericht, weil er seine Frau zu Tode geprügelt hat.
Aussergewöhnlich an diesem Fall sind nur die berühmten Namen: Es ist der französische Rockstar Bertrand Cantat, der seine 41-jährige Lebenspartnerin, die Schauspielerin Marie Trintignant, im vergangenen Sommer zusammengeschlagen und tödlich verletzt hat.
Cantat ist nun am Montag vom Strafgericht in der litauischen Hauptstadt Vilnius wegen «absichtlichen Totschlags» zu acht Jahren Haft verurteilt worden.
Cantat versuchte beim Prozess, seine Gewalttätigkeit herunter zu spielen: Er habe diese Frau doch geliebt, schluchzte er. Er denke «jede Sekunde» an sie.
Der gerichtsmedizinische Untersuchung derweil war klar: Es sei eine überaus aggressive Attacke gewesen. «Sie sah aus wie nach einem Boxkampf», sagte der Notfallarzt.
Blutüberströmt liess der Sänger die Frau, die sich nicht mehr regte, im Bett liegen, und vier Tage später war sie tot.
Häufigste Todesursache unter Frauen
Der Fall Trintignant hat in Frankreich das Thema Gewalt ein weiteres Stück enttabuisiert; Studien werden diskutiert statt schubladisiert, und Zahlen erscheinen als Titel in den nationalen Zeitungen: Jeden Monat sterben 6 Frauen unter den Fäusten ihrer Männer.
Die Schweiz steht dem grossen Nachbarn nicht nach: Der Streit mit dem Partner endet hier jedes Jahr für 40 Frauen tödlich.
Gemäss der UNO ist Gewalt weltweit die häufigste Todesursache bei Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren.
Soziale Unterschiede sind dabei keine auszumachen: Geschlagen wird in einfachen Milieus ebenso wie in Akademikerkreisen. Der Unterschied ist lediglich, dass es die Nachbarn in einem Mietshaus eher merken als in einer Einfamilienhaus-Siedlung.
Auch die Schweiz zieht mit
Ab dem 1. April gilt nun auch in der Schweiz häusliche Gewalt als Offizialdelikt. Damit werden Vergehen gegen die Lebenspartnerin nicht länger als Bagatell- und Privatangelegenheit toleriert, sondern von Amtes wegen verfolgt.
Bisher sei man davon ausgegangen, dass Frauen selber gegen ihren Peiniger vorgehen müssten, sagt Claudia Meyer von der Dachorganisation der Frauenhäuser gegenüber swissinfo.
Sehr oft schafften es die Frauen aus Angst oder Abhängigkeit aber nicht, gegen ihren Partner zu klagen, und viele, die sich zu einer Klage durchgerungen hätten, zögen sie später wieder zurück.
Die Klage ist nur der Anfang
Mehrere Kantone diskutieren nun zusätzlich eine Änderung des Polizeirechts, um gewalttätige Männer aus der gemeinsamen Wohnung ausweisen zu können.
In der Regel ist es heute die Frau, die sich – gleichsam auf der Flucht – nach einer anderen Unterkunft umsehen muss und dabei beispielsweise für ein paar Tage im Frauenhaus Schutz findet.
Frauenhäuser haben jedoch aufgrund knapper Mittel nur wenig Plätze, und nach ein paar Nächten müssen die Frauen, die oft noch ihre Kinder dabei haben, eine andere Lösung finden. Nicht selten kommt es vor, dass sie am Schluss nach Hause zurückkehren müssen.
Der Täter, nicht das Opfer muss gehen
Das Wegweisungsrecht dreht den Spiess um: Nicht das Opfer, sondern der Täter muss das Haus verlassen. Eine Wegweisung dauert zehn Tage und kann, auf Antrag des Opfers, vom Zivilgericht verlängert werden.
St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden haben das Wegweisungsrecht bereits umgesetzt und damit gute Erfahrungen gemacht. Die Resultate sind eindrücklich:
In St.Gallen hat die Polizei allein in den ersten zehn Monaten 400 Mal wegen häuslicher Gewalt einschreiten müssen; in der Hälfte der Fälle seien die Täter aus der Wohnung gewiesen oder vorübergehend eingesperrt worden. Das bedeutet durchschnittlich 40 Interventionen und 20 Wegweisungen im Monat.
Frauenhäuser bleiben notwenig
Claudia Meyer von der Dachorganisation der Frauenhäuser unterstützt die geplante Verschärfung des Zivilgesetzes als «Meilenstein in der Bekämpfung der häuslichen Gewalt».
Nötig seien neben den rechtlichen Rahmenbedingungen aber auch der Ausbau und die Koordinierung von Beratung, medizinischer Hilfe, Betreuung in den Frauenhäusern und finanzieller Unterstützung.
«Der Bedarf an Frauenhäusern wird nicht abnehmen. Aus Sicherheitsgründen wird – trotz Wegweisung des Mannes – ein Aufenthalt in einem Frauenhaus manchmal besseren Schutz gewähren als in der eigenen Wohnung.
Bei traumatisierten Frauen und ihren Kindern ist zudem das Wohnen in einem neutralen Rahmen oft hilfreicher, um zur Ruhe zu kommen.»
swissinfo, Katrin Holenstein
Jede fünfte Frau in der Schweiz wird mindestens einmal im Leben von ihrem Partner geschlagen.
Fast jede zweite Frau ist psychischer Gewaltanwendung ausgesetzt.
Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 40 Frauen von ihren Partnern zu Tode geprügelt.
Häusliche Gewalt gilt ab 1. April 2004 als Offizialdelikt und wird von Amtes wegen verfolgt.
Nach bisherigem Recht musste das Opfer einen Strafantrag stellen.
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