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Coronavirus: «So erlebe ich mein Bern in dieser Zeit» – Teil 2

Hier wartet normalerweise WC-Papier auf Kundschaft. zVg

"Obwohl kein Engpass herrscht, wird gehortet", sagt Gaby Ochsenbein. Die frühpensionierte ehemalige Redaktorin von swissinfo.ch schreibt in dieser beispiellosen Zeit über ihre Beobachtungen und Fragen – aus persönlicher Sicht.

Mit der Ausbreitung des Corona-Virus wächst die Verunsicherung. Trotz Zusicherung der Detailhändler, die tägliche Versorgung sei garantiert, kommt es offenbar immer wieder zu panischen Hamsterkäufen.

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Eben erzählte mir eine Nachbarin, sie habe beim Grossverteiler gerade noch das letzte Paket Hörnli-Teigwaren ergattert. Und gestern schrieb mir eine Freundin, von Beruf Lehrerin, sie habe nach einem anstrengenden Tag zur Organisation des Homeschoolings noch etwas einkaufen wollen: «Alle Gemüseregale im Coop waren leer… zwei müde Peperoni und ein Säckli Kalettes (etwas zwischen Rosen- und Federkohl) habe ich mir noch geangelt. War deprimierend – und ich deprimiert. Habe mir deshalb noch eine Flasche Appenzeller Gin gekauft – Kräuter halt flüssig.»

Begehrte Rollen

Gehortet werde vor allem Toilettenpapier, hört und liest man. Auch ich habe in den letzten Tagen immer wieder Menschen mit mehreren Multipackungen Klopapier angetroffen. Ganz nachvollziehen kann ich diese Panik nicht, denn satt wird man davon ja nicht. Wieso füllen die Leute in einer Krisensituation wie der jetzigen eigentlich das Toilettenpapierlager und nicht den Weinkeller auf?

Jedenfalls wollte ich mir selber ein Bild verschaffen und machte mich frühmorgens auf in die Stadt. Es war so bizarr still wie sonst nur an einem Sonntag. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, überhaupt unterwegs zu sein.

In verschiedenen Läden und Geschäften brannte Licht, obwohl sie alle geschlossen sind. Dies vielleicht, damit es nicht so trist aussieht, dachte ich mir. Oder damit es nicht zu Plünderungen kommt?

Im Supermarkt tummelte sich nur gerade eine Handvoll Leute. Gemüse, Milchprodukte, Teigwaren, Reis, Öl, Essig – alle Regale aufgefüllt. Dort aber, wo üblicherweise das Toilettenpapier liegt, nichts als eine gähnende Leere, keine einzige Rolle. Dasselbe in zwei weiteren Filialen: alles leergefegt. Aber ich bin sicher: In Kürze ist das Regal wieder aufgefüllt.

Cash ist nicht erwünscht

Ich kann mich gut erinnern, dass wir uns früher bei verwandten Bauern auf dem Land den Hintern mit Zeitungspapier gewischt haben. Könnte man ja – sollte es zu einem Engpass kommen – auch wieder machen, oder? Blöd, dass viele Leute gar keine Zeitung mehr abonniert haben, sondern nur noch online lesen.  Und «online» geht bei diesem Geschäft definitiv nicht.

Ich verliess den Laden – ohne WC-Papier – (hatte ja auch nicht vorgehabt, welches zu kaufen) und machte mich auf den Nachhauseweg. Unterwegs gönnte ich mir bei einer Bäckerei ein Croissant und bezahlte die Minisumme von 1.50 Franken erstmals in meinem Leben bargeldlos und somit virenfrei.

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