Berge, Wälder, Wasser – in der Schweiz wie in Bosnien

Die Schweiz habe wie Bosnien schöne Berge, Wälder und viel Wasser, sagt Jasmina Pasalic. Nur gehe Bosnien damit etwas nonchalant um. Die Botschafterin von Bosnien-Herzegowina in der Schweiz von 2004 bis 2008 blickt auf ihre Zeit in Bern zurück.
Bosnien-Herzegowina ist eines der neuen Länder Südosteuropas, die sich aus der Konkursmasse des sozialistischen Jugoslawiens bildeten. Es bezahlte dies mit einem über drei Jahre dauernden Krieg.
Dabei kam es in Europa erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg und seinen Nazi-Gräueln wieder zu ethnischen Säuberungen und Massen-Hinrichtungen.
Bereits zu jener Zeit lebten viele Bosnier als jugoslawische Gastarbeiter in der Schweiz.
Neu dazu kamen seit Anfang der 1990er-Jahre viele Kriegsflüchtlinge, Asylsuchende und Vertriebene.
Die Schweiz dient Bosniern seit Jahrzehnten als Einwanderungsland. 1993 eröffnete Bosnien-Herzegowina seine Botschaft in Bern. Rund 45’000 Bosnier leben zur Zeit in der Schweiz.
Botschafterin Jasmina Pasalic ist vor kurzem nach Sarajevo zurückgekehrt.
swissinfo: 2004 wurden Sie als Botschafterin in die Schweiz beordert. Wie verbrachten Sie Ihre ersten Tage in Bern?
Jasmina Pasalic: Es war Februar und sehr kalt, als ich ankam – wie in Sarajevo. Die Tage waren kurz, Bern erschien mir als kleine Stadt, sogar kleiner als Sarajevo. Kurz: Der abrupte Beginn im Winter schlug mir ziemlich aufs Gemüt.
Ich war nicht das erste Mal in der Schweiz, aber das erste Mal mit einem längerfristigen Auftrag. Meine Kollegen auf der Botschaft, aber auch viele Schweizer haben mich unterstützt.
Als ich dann meine Akkreditierung beim damaligen Bundespräsidenten Joseph Deiss einreichen konnte, hellte sich meine innere Wetterlage wieder auf.
swissinfo: Wie entwickelten sich die folgenden Monate?
J.P.: Der Frühling kam sehr schnell. Mir schien, ich hätte mich sehr schnell im Berner Milieu zurechtgefunden. Sowohl im diplomatischen als auch im schweizerischen, mit dem ich bereits in Sarajevo viel zu tun hatte.
Dort hatten schon im Jahr 2000 die Schweizer die zerstörte nationale Kunstgalerie wieder aufgebaut. Noch heute sind über 130 Bilder von Ferdinand Hodler zu sehen, aus dem Nachlass von Jeanne Charles Cerani-Cisic.
Der Bezug zu Bosnien liegt im Umstand, dass dieses Model von Hodler mit einem Bosnier-Herzegowiner aus Mostar verheiratet war. Dennoch pflegte Hodler mit dieser Französin eine sagen wir mal sehr gefühlsbetonte Beziehung!
swissinfo: Und wie steht es mit Ihren Gefühlen nach 4 Jahren Schweiz? Was fehlt Ihnen jetzt in Sarajevo am meisten?
J.P.: Landschaftlich sind sich beide Länder recht ähnlich: viel Berge, Wälder und Gewässer. Während diese in der Schweiz gepflegt und geordnet wirken, wird in Bosnien damit etwas nonchalant umgegangen. Diese auf menschliche Dimensionen ausgerichtete Landschaft fehlt mir jetzt.
Auch das Strassennetz vermisse ich. In Bosnien stecken wir diesbezüglich noch in der Verhandlungsphase. Bosnien hat zwar eine etwas grössere Fläche als die Schweiz, aber ein viel kleineres Strassennetz, und nur halb so viele Einwohner – von denen inzwischen viele in der Schweiz leben.
Was mir seit meiner Rückkehr in Sarajevo aber besonders fehlt, ist das eindrückliche Gemeinschaftsgefühl der Schweizer untereinander, zur selben Nation zu gehören – egal ob deutschsprachig, katholisch, französischsprachig oder reformiert, italienischsprachig oder protestantisch.
Das mag pathetisch tönen, aber das ist es, was uns in Bosnien so fehlt.
swissinfo: Wie haben Sie die Schweizer Ausländerpolitik erlebt?
J.P.: In erster Linie hatte ich es mit meinen Bosniern zu tun. Sie scheinen mir in der Schweiz recht gut integriert – nicht assimiliert – zu sein, was mich als Landesvertreterin natürlich mit stolz macht.
Wobei mir scheint, dass Ausländer sich in der Deutschschweiz stärker den vorgegebenen Strukturen anpassen als in der Romandie oder im Tessin. Viele Ausländer in der Deutschschweiz wünschen das selbst – anderen kommt dies als Muss vor.
Obschon in der Schweiz der Umgang mit Ausländern landesweit ähnlich geregelt ist, wird er im Alltag regional unterschiedlich gehandhabt. Uns Bosniern steht die Mentalität der Romands und der Tessiner näher.
swissinfo: Was fiel Ihnen während Ihrer Zeit hier negativ auf?
J.P.: Die Plakate mit den schwarzen und weissen Schafen oder den braunen Händen auf dem roten Pass erschienen mir schon als ein starkes Stück – für ein Land, das derart auf die Einhaltung der Menschenrechte pocht.
Im diplomatischen Korps in Bern war man doch ziemlich überrascht von diesem Stil. Die Schweiz soll aber weiterfahren, auf den Menschenrechten zu insistieren – jedoch vermehrt mit dem Hinweis, dass sie sich diese Errungenschaften selbst erarbeitet hat – ohne Hilfe von aussen.
In Bosnien und Herzegowina ist die Schweiz seit Beginn der Unabhängigkeit 1992 humanitär und sicherheitsfördernd sehr präsent – mit grosser Glaubwürdigkeit. Diese wurde glücklicherweise auch durch die Kampagne mit den schwarzen Schafen nicht geschmälert.
swissinfo-Interview: Alexander Künzle
1973 trat die Professorin für Englisch, Literatur und Französisch in den Dienst der Regierung der damaligen jugoslawischen Republik Bosnien und Herzegowina.
Vertretung in der UNESCO-Kommission.
1991-1993 stv. Ministerin für bilaterale Beziehungen im Aussenministerium.
1993-1996 Diplomatische Vertretung in Frankreich.
1996-2004 Vorsteherin des Direktorats für die europäischen Länder im Aussenministerium.
2004-2008 Botschafterin für Schweiz und Liechtenstein.
Fläche: 51’130 km2
Bevölkerung: 4 Mio.
BIP pro Kopf: 3790 US-Dollar.
Rund 45% Bosnjaken (Muslime), rund 40% Serben (Orthodoxe), rund 10% Kroaten (Katholiken).
Früher teils gemischte Bevölkerung, jetzt Trend zur Separierung.
Seit 1995 (Dayton-Vertrag) zwei Entitäten: Die Bosnjakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, mit je eigenen politischen Strukturen.
Staatsangehörige aus BIH gab es laut Bundesamt für Statistik 2007 (2002; 1995) 41’600 (52’000: 40’000).
Personen im Asylprozess aus BIH 2’200 (5500; 15’000).
Dazu kamen 1995 207’000 sog. Ex-Jugoslawen (diese Kategorie wurde nachher aufgehoben).
Im Mittelalter war Bosnien-Herzegowina (BIH) ein eigenes Königreich.
Nach der Eroberung durch die Ottomanen verlief 500 Jahre lang eine DDR-ähnlich abgeschottete Grenze zwischen der Türkei und Österreich – dort, wo heute die Grenze zwischen Bosnien und Kroatien verläuft, in der Krajina.
1914 erschoss in Sarajevo der serbische Nationalist Princip den österreichischen Kronprinzen Franz Ferdinand, was den 1. Weltkrieg auslöste.
Im Zwischenkriegs- und im Nachkriegs-Jugoslawien war BIH eine der sechs (Teil-)Republiken.
Der ethnischen Säuberung bis 1995 waren schon seit dem Rückzug der Türken Vertreibungen von Muslimen durch Serben vorangegangen.
Das «Nation Building» der konfessionell gemischten und mehrsprachigen Schweiz wird deshalb in BIH mit besonderem Interesse verfolgt.

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