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Bern-Peking per Velo: Die Ankunft am Ende

Am Ziel des Abenteurs: Die Schweizer Biker Samuel Anrig (l) und Julian Zahnd haben Peking erreicht. swissinfo.ch

Nach 7 Monaten und 12'961 Kilometern im Velosattel haben Julian Zahnd und Samuel Anrig das Ziel erreicht: Anfangs Dezember stehen die Schweizer Radler vor dem Tor zur Verbotenen Stadt. Von dort erreicht uns ihr 8. Reisebericht.

Die Zahlen auf den Kilometersteinen, welche die Distanz zum Ziel angeben, werden immer kleiner. Meine Gedanken schweifen ab und machen eine Reise für sich. Ich vergesse die verbleibenden Kilometer zu zählen und plötzlich finden wir uns inmitten des Platzes des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings wieder. Die Welt steht für einen Moment lang still.

Wo sind nun all die Gefühle, die ich mir während der Reise für diesen Moment ausgemalt habe? Wo sind die endlose Erleichterung, die tiefe Trauer oder der unbändige Stolz über das Erreichte?

Ein wenig verwirrt ob meiner Gefühlslage bin ich schon, denn in diesem Moment spüre ich nichts dergleichen. Irgendwie bin ich leer. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich die Bedeutung dieses Augenblicks vollständig erfassen werde.

Während der letzten Wochen durchquerten wir Zentralchina von West nach Ost. Wir haben in dieser Zeit unheimlich viel gesehen, gehört und erfahren, doch noch viel mehr blieb uns in diesem riesigen Land verborgen.

Auch wenn es unmöglich ist, China anhand eines Berichts, geschweige denn anhand einzelner Worte, treffend zu beschreiben, so sind es doch drei Begriffe, die ich in Zukunft wohl unweigerlich mit diesem Land in Verbindung bringen werde: Masse, Geschichte und Wandel.

China ist ein Land der Massen. Wörter wie «gross» oder «viel» haben hier ausgedient, an ihre Stelle treten «gigantisch» und «grenzenlos».

Tonnenweise Kohlköpfe

Zunächst erfahren wir dies anhand der Landwirtschaft. In den Provinzen Gansu und Shaanxi prägen geschwungene Hügel das Landschaftsbild. Da sich die Steilhänge nicht gut bewirtschaften lassen, wurde das Gelände terrassiert. Und zwar so gründlich, dass wir mehrere Tage lang praktisch keinen unbewirtschafteten Flecken Erde sichten.

Plötzlich wird das Gelände flacher, wir sind in einem Gebiet angelangt, wo Kohl Trumpf ist. Felder, wohin das Auge reicht. Ständig werden wir von prall geladenen Vehikeln überholt, am Strassenrand türmen sich Berge von Kohlresten, die dort ihrem Schicksal überlassen werden und von denen ein modriger Geruch ausgeht.

Immer wieder passieren wir riesenhafte Städte, die noch immer im Wachsen begriffen sind. Noch fensterlose Bauten, die sich nach oben hin in der nebligen Luft verlieren, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Selten bekamen wir auf einen Blick so viele Krane zu Gesicht wie hier.

An einem Tag erleben wir eine Art Schulausflug. Hunderte von Kindern marschieren in Schuluniformen der Hauptstrasse entlang, die Kolonne ist mehrere Kilometer lang. Ebenso die Kolonne stehender, mit Kohle beladener Lastwagen, die wir in der «Kohleprovinz» Shanxi auf einer Passtrasse überholen. Das Manöver dauert Stunden, wir schätzen die Anzahl Fahrzeuge auf mehrere Tausend.

China ist ein Land mit einer bedeutenden Geschichte. In den früheren Dynastien wurden Unmengen an Sehenswürdigkeiten errichtet, die noch heute bestaunt werden können. Davon picken wir uns ein paar wenige heraus.

Wir erklimmen beispielsweise die heiligen Berge des Hua Shan, besichtigen das älteste Shaolin-Kloster des Landes und besuchen schliesslich die gut erhaltene Altstadt von Pingyao – einem kleinen Städtchen östlich von Peking.

Die Orte sind allesamt spektakulär, haben eine beeindruckende Architektur und befinden sich in wunderschönen Landschaften. Doch sie werden ebenfalls gezielt vermarktet und locken Scharen von Touristen an, wodurch sie oftmals einen grossen Teil ihrer ursprünglichen Würde verlieren.

Aus Redfahrern werden Kaminfeger

China ist auch ein Land, das in extremem Wandel begriffen ist. Die Wirtschaft wächst seit dem Ende von Maos Kulturrevolution in den 80er-Jahren enorm stark und generiert Wohlstand. Millionen Menschen strömen jährlich vom Land in die Städte in der Hoffnung auf Arbeit. Die Städte wiederum platzen aus allen Nähten, täglich entstehen neue Quartiere mit Wohnblocks.

Das Wachstum hat jedoch auch seinen Preis: Die Umwelt leidet in China sehr. Dem Reiseführer entnehme ich, dass im Land durchschnittlich an jedem dritten Tag ein neues Kohlekraftwerk entsteht. Die Luft ist vom extensiven Kohleabbau teilweise so verschmutzt, dass wir am Ende eines Tages auf dem Velo aussehen wie Kaminfeger.

Masse, Geschichte und Wandel begegnen uns in Peking in konzentrierter Form. Unsere Reise hat hier zwar ein Ende gefunden, das Ende zieht sich nun aber noch ein paar Wochen hin. In dieser Zeit werden wir bei unserem gemeinsamen Freund, der hier seit mehreren Jahren lebt und arbeitet, und uns von ihm die Stadt zeigen lassen.

Julian Zahnd, Peking

Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.

  

In Samsun am Schwarzen Meer ist sein Freund Samuel Anrig dazu gestossen. Er hat Julian für den Rest der Reise begleitet.

Julian war am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans, die Türkei, Iran, Turkmenistan, Kirgistan.

Anfangs Dezember sind sie in Peking angekommen.

Die Route – insgesamt 13’000 km – verlief über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.

Die Abenteurer haben pro Tag im Durchschnitt rund 100 km zurückgelegt.

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