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Berner Velo-Abenteurer erreicht Grenze zu Asien

Etappen-Ziel "Istanbul" erreicht: Der asiatische Teil der Reise beginnt. Julian Zahnd

Auf seiner Veloreise von Bern nach Peking hat Julian Zahnd die Grenze von Bulgarien in die Türkei passiert. Die beiden Länder habe er bisher ganz unterschiedlich erlebt, schreibt der Berner Radler in seinem zweiten Bericht, den er swissinfo.ch aus Istanbul schickt.

Verschlafen und ausgesprochen lebhaft: Unterschiedlicher könnten die Grundstimmungen in den beiden Ländern Bulgarien und Türkei kaum sein. Eines jedoch haben sie gemein: Die atemberaubenden Landschaften.

Vor ein paar Tagen habe ich Philippe kennen gelernt, einen Radler aus Deutschland. Sein Ziel ist Indien und so reisen wir für ein paar Tage gemeinsam durch Bulgarien.

Zunächst radeln wir eine gute Stunde lang durch unbesiedeltes Gebiet. Um uns herum ist es still geworden. Im ersten Dorf ernten wir nur stumme Blicke. Fast unheimlich ist es, und ich bin nun froh, in Begleitung zu sein.

In Serbien noch, wo wir uns zehn Tage lang aufhielten, hatten wir regen Kontakt mit den Leuten, die sich überaus gesprächig und gastfreundlich zeigten. Plötzlich ist nun alles anders und man bekommt das Gefühl, die Grenze trenne nicht nur verschiedene Länder, sondern gleich zwei Welten.

Wunderbare Landschaft – verschlafene Gesellschaft

Bulgarien ist ein sehr abwechslungsreiches Land. Anfänglich führt uns die Strasse der Donau entlang durch dichte Wälder. Als wir gegen Süden fahren und eine Bergkette überwinden müssen, bieten sich uns überwältigende Ausblicke, und schliesslich trumpft das Land mit weiten Stränden und glasklarem Wasser auf.

Aber das Land erfahren wir als ziemlich verschlafen. Oftmals passieren wir Dörfer und kleinere Städte, wo lediglich eine Handvoll Leute zu sehen sind. Ab 20 Uhr sind die Strassen selbst in grösseren Städten wie Vidin leergefegt.

Das sei ein neues Phänomen, verrät uns ein in einer Kleinstadt wohnhafter Bulgare. Schuld daran sei das fahrende Volk – die «Gipsies», wie sie hier genannt werden. Seit sie in die Stadt gekommen seien, würden die Leute abends lieber in ihren Häusern bleiben.

Selbst wenn Gespräche mit bulgarischen Landsleuten sehr selten sind – einen Eindruck gewinnt man rasch: Die «Gipsies» mag man hier nicht besonders, und sie werden gerne für Probleme im eigenen Land verantwortlich gemacht.

Ebenso skeptisch begegnen manche Leute dem System der freien Marktwirtschaft, mit dem sich das Land offensichtlich noch nicht angefreundet hat. Wirtschaftlich scheint Bulgarien stillzustehen – Strassen in desolatem Zustand sind ein Zeichen davon, sowie die grosse Armut, die förmlich spürbar ist.

Eine neue Welt

Nach zwölf interessanten Tagen in Bulgarien stehe ich in Malko Tarnovo, dem Grenzübergang zur Türkei. Philippe und ich haben uns inzwischen getrennt, und ich bin wieder allein unterwegs.

Im Westen der Türkei herrscht ein regelrechter Bauwahn. Obwohl ich mich in einer verkehrsarmen Gegend befinde, liegt vor mir eine mehrspurige Schnellstrasse bester Qualität. Wo die Strasse noch einspurig verläuft, ist man daran, diese zu erweitern, weshalb ich mich vor Istanbul zeitweise durch kilometerlange Lastwagenkonvois kämpfen muss.

Am meisten beeindrucken mich aber die Leute. Gleich im ersten Dorf werde ich zum Essen eingeladen und anschliessend wird mir ein Schlafplatz angeboten.

Einen Abend lang bin ich die Hauptattraktion des Dorfes. Die Bewohner scharen sich um mich und bombardieren mich mit Fragen. Ich kann zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort Türkisch und muss jede Aussage mit Hilfe eines Wörterbuches zusammenbasteln, doch die Leute stört das kaum.

Auf der Strecke nach Istanbul wiederholen sich solche Szenen etliche Male. Die Gastfreundschaft und Grosszügigkeit ist überwältigend, zeitweise aber auch so ermüdend, dass ich mir manchmal gar wünsche, ein Essen allein einnehmen zu können. Mein Wunsch sollte nicht erhört werden, denn in der Türkei gibt es wohl keinen Ort, in dem die Leute nicht interessiert sind.

Mittlerweile habe ich mich an die neuen Umstände gewöhnt. Nach zehn Tagen Istanbul – einer wunderbaren Stadt – bin ich vollständig erholt und freue mich auf die Weiterfahrt. Denn die Türkei, so meine Erwartung, wird mir noch so manches Erlebnis bieten können.

Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.

Sein Freund Samuel Anrig wird in Ankara dazu stossen und Julian für den Rest der Reise begleiten.
 
Julian ist am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans. In diesen Tagen radelt er von Istanbul nach Ankara. Weiter geht es nach Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und China bis Peking.
 
Die Route – insgesamt 14’000 km – verläuft über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.
 
Die Abenteurer wollen pro Tag rund 100 km zurücklegen, um ihr Ziel im November zu erreichen.

Julian Zahnd ist 26 Jahre alt. Im Herbst 2010 hat er sein Studium in Politologie und Geschichte abgeschlossen.

Nebst Musik und Sport ist das Reisen seine Leidenschaft, vor allem per Fahrrad.

Der Berner hat in den letzten Jahren bereits die Strecken Zagreb-Tirana sowie Granada-Bern per Rad zurückgelegt.

Die gegenwärtige China-Radreise ist für ihn die mit Abstand längste Tour.

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