Besteuerung: Bern weist die EU-Kritik zurück
Die Schweiz beteuert erneut, Steuerprivilegien einiger Kantone hätten nichts mit dem Freihandelsvertrag zwischen der Schweiz und der EU zu tun.
Bern antwortet auf die Kritik der Europäischen Union und hat in Brüssel ein Dokument zur Rechtslage übergeben.
Brüssel hat eine ausführliche Antwort auf die Kritik an Steuerprivilegien für gewisse Unternehmen erhalten. Botschafter Bernhard Marfurt, Chef der Mission bei der EU in Brüssel, überbrachte am Donnerstag ein 10-seitiges Schreiben mit der Darstellung der Rechtslage aus Schweizer Sicht der EU-Kommission persönlich.
«Wir haben ein solides und transparentes Dokument vorgelegt und warten nun ruhig auf die Antwort der EU-Kommission», sagte Marfurt. Diese Replik auf die Schweizer Argumentation wird wohl bei einem Expertentreffen in einigen Wochen erfolgen. Das Schreiben der Schweiz werde nun studiert, erklärte die zuständige Kommissionssprecherin.
Zug und Schwyz: Staatsbeihilfen?
Brüssel hatte im September und beim Gemischten Ausschuss im Dezember die Befürchtung geäussert, die Steuerprivilegien, die verschiedene Kantone gewähren, seien Staatsbeihilfen, die direkt oder indirekt das gute Funktionieren des Freihandelsabkommens beeinträchtigen.
Explizit erwähnt worden waren die Kantone Zug und Schwyz. Aus Schweizer Sicht fallen aber die Modalitäten der kantonalen Besteuerung von Verwaltungs-, Holdings-, und Gemischten Gesellschaften nicht unter das Abkommen mit der EU. Zudem seien die Steuererleichturung verursachergerecht und nicht selektiv, so die Argumentation.
Kein Schiedsgericht
Bei Streitfällen mit Mitgliedsstaaten, die dem EU-Recht unterstehen und die sich mit einem Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Steuervermeidung verpflichtet haben, kann die EU-Kommission allenfalls beim Europäischen Gerichtshof klagen. Das Abkommen mit der Schweiz sieht jedoch kein Schiedsgericht vor.
Als nächster Schritt wäre aus Schweizer Sicht eine formelle Sitzung des Gemischten Ausschusses notwendig. Sollte es zu keiner Einigung kommen, könnte die EU-Kommission versuchen, die Mitgliedstaaten von Retorsionsmassnahmen gegen die Schweiz zu überzeugen. Im Abkommen ist die Möglichkeit von einseitigen Schutzklauseln erwähnt.
Florent Roduit, der den Wirtschaftsdachverband economiesuisse in Brüssel vertritt, rechnet aber nicht damit. Handelseinschränkungen wären auch zum Nachteil der EU-Staaten, sagte er gegenüber der SDA.
Jean Russotto, Wirtschaftsanwalt und Vertreter von Schweizer Unternehmen in Brüssel, sprach dabei ebenfalls von einer «letzten Massnahme».
Politische Konsequenzen
Aus Roduits Sicht wird der Steuerstreit «das Klima nicht begünstigen». Mit dramatischen Auswirkungen rechnet er jedoch nicht. Russotto warnte hingegen davor, das Thema zu unterschätzen.
«Zu 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit wird das zu einem politischen Problem werden», sagte er und verwies auf frühere Äusserungen des Generaldirektors für Aussenbeziehungen der EU-Kommission.
Es gebe verschiedene Wege, Druck auszuüben, ergänzte Russotto. So sei es «durchaus nicht ausgeschlossen», dass die EU-Kommission die Beziehungen zur Schweiz «auf ein Minimum beschränkt». Diese Blockierung von Dossier wandte Brüssel bereits mehrfach an.
Weiter erwähnte Russoto die Möglichkeit, dass die EU-Kommission versuchen könnte, in einem neuen Paket mit der Schweiz über eine Übernahme des Verhaltenskodex zur Steuervermeidung zu verhandeln.
swissinfo und Agenturen
Bei den Differenzen zwischen der Schweiz und der EU geht es um die Frage, ob vorteilhafte kantonale Steuersätze den Freihandels-Vertrag von 1972 verletzen.
Im September 2005 hatte die EU-Kommission in einem Brief an die Schweiz die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz verurteilt.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, hat das Steuersystem dieser Kantone nicht als schädlich befunden.
Seit langem betont die Schweiz , dass der Steuerwettbewerb zwischen den 26 Kantonen gesund sei und ausländische Investoren anlocke.
So hätten tiefe Steuern einigen Kantonen geholfen, besonders Zug und Schwyz, neue Investoren anzuziehen.
Das Freihandels-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU-Vorgängerin, der Europäischen Wirtschafts Gemeinschaft EWG, von 1972 ist einer der tragenden Pfeiler der Beziehungen Bern – Brüssel.
Das im Dezember 1972 vom Schweizer Stimmvolk angenommene Abkommen war ein politisches Nebenprodukt des Übertritts Grossbritanniens und Dänemarks von der kleinen Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) zur grossen Zollunion EWG.
Der Deckungsbereich des Abkommens umfasst nur Industrie-Produkte.
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