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Bewegender Abschied vom Opfer von Locarno

Keystone

Mehr als 2000 Personen haben im Tessin dem 22-jährigen Studenten Damiano das letzte Geleit gegeben. Der junge Mann war während des Karnevals von Locarno zu Tode geprügelt worden.

Während des Trauergottesdienstes rief Bischof Pier Giacomo Grampa dazu auf, den drei mutmasslichen Tätern zu vergeben und keine Rachegelüste zu hegen.

Bischof Giacomo Grampa konnte seine Emotionen nicht zurückhalten. Während der Predigt, die er im Sitzen vortrug, brach er mehrfach in Tränen aus. Die Stimme versagte ihm. Grampa hatte Damiano noch letzte Woche an seinem Sterbebett im Spital La Carità in Locarno besucht.

Er sei sich bewusst, dass bei einem derart absurden Tod, wie ihn der 22-Jährige erlitten habe, alle tröstenden Worte ihre Macht verlieren würden, sagte Grampa. Die Tat sei sinnlos und könne nur von Personen begangen worden sein, die dem Leben keinen Sinn geben.

Grampa sprach von einem «erzieherischen Notstand» und geisselte indirekt auch die heutige Gesellschaft, die leeren Werten hinterher jage. Die wahren, nämlich christlichen Werte müssten wiederentdeckt werden. Auch den Eltern der mutmasslichen Täter, die jetzt genauso wie die Eltern des Opfers verzweifelt seien, gedachte er kurz.

Gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit

Der Bischof erinnerte zudem an den offenen Brief der Eltern und der Schwester von Damiano, die dazu aufgerufen hatten, dieses Unglück nicht zu instrumentalisieren. Der tragische Tod von Damiano solle nicht Hass und Fremdenfeindlichkeit schüren, sondern ein Anlass sein, «der Kultur der grundlosen Gewalt» ein Ende zu setzen.

Auch der Tessiner Regierungsrat Luigi Pedrazzini lobte in einer kurzen Ansprache die Familie. Sie habe durch ihr versöhnliches Verhalten der ganzen Gesellschaft eine staatsbürgerliche Lektion erteilt.

Der Staat müsse mit Entschiedenheit auf Gewalttaten dieser Art reagieren, ohne in Rache zu verfallen: «Wer Gewalt ausübt oder dazu anstiftet, kann nicht toleriert werden.» Die Tessiner Gesellschaft wolle weiterhin eine offene Gesellschaft sein, müsse aber auch Sicherheit gewährleisten.

Letztes Geleit zum Friedhof

Pedrazzini lobte wie zuvor schon Bischof Grampa die grosszügige Geste der Familie, die Organe des getöteten Mannes zur Organspende frei zu geben: «So können fünf Menschen weiter leben.»

Zur Trauerfeier in Gordola, dem Wohnort von Damiano, hatten sich zahlreiche Vertreter von Kanton und Gemeinden eingefunden. Auch Alt-Bundesrat Flavio Cotti war an Damianos Beerdigung gekommen. Über Lautsprecher wurde die Trauerfeier auf den Vorplatz übertragen.

Von der Kirche ging es in einer Prozession schliesslich zum Friedhof, wo Damiano beerdigt wurde. Eine gewaltige Menschenmenge folgte dem blumengeschmückten Sarg.

Mutmassliche Täter in U-Haft

Die mutmasslichen Täter sitzen derweil in Untersuchungshaft. Es handelt sich um drei junge Männer im Alter von 18, 19 und 21 Jahren. Sie haben kroatische Wurzeln, sind aber im Tessin aufgewachsen. Zwei sind eingebürgerte Schweizer.

Die Herkunft dieser jungen Männer hat zu einer intensiven Debatte über die Integration von Ausländern und Jugendgewalt im Tessin und in der ganzen Schweiz geführt. Rufe nach Ausweisung und sofortiger Aberkennung der Staatsbürgerschaft wurden laut.

Bisher ist allerdings der genaue Tathergang längst nicht klar. Nach bisherigen Erkenntnissen wurde der 22-jährige Student in der Nacht auf Samstag in einer Strasse in der Altstadt von Locarno zusammengeschlagen und mit Fusstritten malträtiert. Er erlag am Samstag im Spital seinen schweren Verletzungen.

Gerhard Lob, Gordola

Zahlreiche Anwälte haben es abgelehnt, die drei jungen Männer zu verteidigen.

Dies zeigt, wie angespannt die Stimmung im Tessin nach dem Drama von Locarno ist.

Die jungen Männer, die seit Samstag in Untersuchungshaft sitzen, konnten am Dienstag erstmals ihre Anwälte sprechen.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet auf Aggression und vorsätzliche Tötung. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Anklage auf unterlassene Hilfeleistung ausgeweitet wird.

Die Lega dei Ticinesi und die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Tessin verlangen, die mutmasslichen Täter auszuweisen und ihnen die Schweizer Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Sie deponierten bei der Tessiner Regierung einen entsprechenden Vorstoss.

Die SVP hat bereits vor der Gewalttat in Locarno eine Initiative «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer» lanciert, die Unterschriftensammlung läuft.

Die Initiative verlangt eine Ergänzung der Bundesverfassung. Demnach würden straffällig gewordene Ausländer in bestimmten Fällen automatisch ausgewiesen.

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