Big Brother Einhalt gebieten
Persönlichkeits-Rechte dürfen nicht ausgehebelt werden, trotz des Kampfes gegen den Terrorismus, fordert der oberste Schweizer Datenschützer. Er verlangt mehr Kompetenzen.
«Wir müssen die Entwicklung nach dem 11. September aufmerksam verfolgen», sagte der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür am Montag vor den Medien. Nach den Terror-Anschlägen habe sich eine breite Diskussion über Sicherheit und Datenschutz ergeben. Dabei hätten die Behörden bereits weitreichenden Zugriff auf Datenbestände.
Dass die Diskussion auf die Beschneidung von Persönlichkeits-Rechten hinausläuft, bestätigt auch Catherine Weber vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz». «Die Grundrechte haben am 11. September eine Lobby verloren. Die Bürgerlichen nutzen den Schock, um gewisse Gesetze zu verschärfen.»
Breites Themenfeld des Datenschützers
Ein Jahr lang befasste sich Thür mit den diversen Einzelheiten der totalen Überwachung. Am Montag präsentierte er seinen Tätigkeitsbericht in Bern.
Im 150-seitigen Bericht behandelt er beispielsweise die Gefahren von ausgelagerten Personendaten (Empfehlung: Datenschutz-Vertrag) oder die Videoüberwachung am Zürcher Hauptbahnhof (Wirksamkeit fraglich, Hinweisschilder fehlen). Im weiteren prüfte er die Weitergabe von Personendaten während des G8-Gipfels in Genua (erfolgte gesetzeskonform) oder den neuen Tarmed-Arzt-Tarif (Diagnosen in der Rechnung).
Eine PIN-Nummer für alle Datenbanken
Thür, ehemaliger Nationalrat der Grünen Partei, beschäftigte sich auch mit einem laufenden Projekt unter der Führung des Bundesamtes für Statistik (BFS): Mit einer lebenslangen sogenannten «universellen Personennummer» will das BFS die Datenregister von Bund, Kantonen und Gemeinden harmonisieren.
Das BFS beteuert gegenüber den Medien, der PIN habe eine rein statistische Funktion. Der Datenschützer widerspricht. «Mit dem vorliegenden Projekt ist es technisch möglich, Daten zu verknüpfen.» Er verlangt deshalb sogenannt eine sektorielle Identifikation, also eine Nummer für jede Datenbank. Er gibt zu bedenken: «Was technisch möglich ist, wird in der Regel auch benutzt.»
Verhältnismässigkeit gefährdet
Ein weiteres Pilotprojekt bereitet Thür ebenfalls Sorgen. Am Flughafen Kloten soll versuchsweise – ohne gesetzliche Grundlage ausser der Verfassung, wie Thür auf die Frage eines Journalisten ausführte – eine Videokamera alle Flugpassagiere biometrisch erfassen (siehe Link). Er habe zwar als eidgenössischer Datenschützer zu diesem kantonalen Projekt nichts zu sagen, meldet trotzdem massive Bedenken an. «Wenn bei 100% Erfassung 1% illegale Einwanderer erfasst werden, stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit.»
Zu wenig Kompetenzen im internationalen Vergleich
Um seine Kontrollfunktion auszuüben, fordert Thür mehr Kompetenzen und Personal. Kompetenzen sollen ihm im Zuge der laufenden Revision des Datenschutzgesetzes zugestanden werden. Fünf zusätzliche Vollzeitstellen sollen sein Amt auf 20,5 Stellen aufstocken.
«Im internationalen Vergleich haben Schweizer Datenschützer mit Abstand am wenigsten zu Sagen», sagt Thür. «Das ist nicht einsichtig in einem Land, wo der Schutz der Privatsphäre ein hoher Wert beigemessen wird.»
«Auf der Repressions-Seite wird immer stärker ausgebaut. Der Datenschutzbeauftragte aber arbeitet seit Jahren mit demselben Stellenetat, auch wenn sich die automatische Datenverarbeitung enorm verändert hat», konstatiert auch Weber vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz».
Auch Datenschützer Thür prophezeit: «Die Arbeit wird uns nicht ausgehen.»
Philippe Kropf
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