Blocher verteidigt bewaffnete Neutralität
Justizminister Christoph Blocher hat zum 65. Jahrestag des Rütli-Rapports von General Guisan die Kraft der alten Freiheit und Neutralität beschwört.
1940 hatte Guisan die höheren Offiziere auf die Rütliwiese beordert und sie dort zum entschiedenen Widerstand gegen Nazideutschland aufgefordert.
«Gerade die jüngsten, bis nach Europa hineingetragenen Terroranschläge zeigen, dass die Neutralität auch in Zeiten überstaatlicher Auseinandersetzungen einen besseren Schutz bietet als voreilige Parteinahme», sagte Bundesrat Blocher (Landesregierung) in seiner Ansprache an der Gedenkfeier vom Sonntag.
Er erinnerte daran, dass sich die Schweiz im Jahr 1940 angesichts der grössten Bedrohung uneingeschränkt zu ihrer Selbständigkeit und Neutralität bekannt habe. Auf dem Rütli habe Guisan jene Strategie eingeleitet, die letztlich die Schweiz vor dem Krieg bewahrt habe.
Natürlich habe die Schweiz in dieser Zeit auch Fehler begangen – aus heutiger Sicht beurteilt. Doch sei es gelungen, den Krieg als neutraler Staat zu überstehen: «Die Strategie hatte Erfolg, und das ist entscheidend», sagte Blocher.
Neutralität als Überlebensstrategie
Deshalb könne er nicht verstehen, dass bereits die Ankündigung der Gedenkfeier für den Rütli-Rapport Kritik ausgelöst habe, sagte Blocher. Dahinter stecke wohl die Angst, dass ein Ereignis Wirkung entfalten könne, bei dem der Wille zur Unabhängigkeit in Freiheit und zur bewaffneten Neutralität im Mittelpunkt stehe.
Denn diese Werte seien die Antwort auf die Frage: «Was haben wir zu verteidigen?» Die dauernde bewaffnete Neutralität biete dafür die beste Garantie als Überlebensstrategie. Der Kleine am Rockzipfel des Grossen möge sich einen Sicherheitsgewinn erhoffen: «Er täuscht sich.»
Angriff verhindern
Es sei die Neutralität, welche die Beständigkeit garantiere, den wichtigsten aussenpolitischen Trumpf im internationalen Kräftespiel. Wie vor 65 Jahren gehe es auch heute darum, den Angriff einer fremden Armee zu verhindern.
Deshalb solle sich das Land im Aufbruch auf die Kraft der alten Freiheit besinnen. Aus dem Ja zur Unabhängigkeit hätten sich immer wieder Wege finden lassen, um die Freiheit und den Wohlstand des Landes zu sichern, sagte Bundesrat Blocher weiter.
Kritik an Christoph Blochers Rede
Der Basler Historiker Georg Kreis warf in einem Interview mit dem Zürcher «Tagesanzeiger» Bundesrat Blocher vor, er präsentiere seine Interpretationen als Fakten der Geschichte und blende aus, was ihm nicht passe.
Zudem kultiviere er einen Mythos der Unabhängigkeit. «Man kann Blocher und den Zuhörern, die ihm applaudieren, nur empfehlen, die Präambel der Bundesverfassung zu lesen. Dort ist nicht nur von ‹Unabhängigkeit› die Rede, sondern auch von ‹Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt'», betonte Kreis.
Zwischenfälle ausgeblieben
Zur Gedenkfeier hatten sich zwischen 1500 und 2000 Personen auf der Rütliwiese versammelt. Einige davon erschienen in Uniformen und Trachten.
Medienspekulationen, wonach Rechtsextreme diesen Anlass eine Woche vor dem Nationalfeiertag für einen Auftritt missbrauchen könnten, haben sich offenbar nicht bewahrheitet: Dem Kommandanten der Urner Kantonspolizei, Reto Habermacher, zufolge wurden in dieser Hinsicht am Sonntag auf dem Rütli keine Auffälligkeiten beobachtet.
Organisiert wurde die Feier von nationalkonservativen Vereinen und Institutionen wie Pro Tell und Aktion Aktivdienst. OK-Präsident Bruno Maurer und der Urner Landammann Josef Arnold erinnerten an die bewegte Geschichte des Rütlis. Maurer bedauerte ausdrücklich die Abwesenheit der Armeespitze.
Guisans Rückzugs-Strategie
Der Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940 wurde zum Inbegriff des Widerstandswillens des Schweizer Volkes. Dazu hatte General Henri Guisan aufgerufen, nachdem die Schweiz nach dem Fall Frankreichs am 22. Juni 1940 vollständig von den Achsenmächten umgeben war.
Eine Besetzung der Schweiz durch Nazideutschland konnte damals nicht ausgeschlossen werden.
Am 25. Juni 1940 hielt der damalige Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz eine Radioansprache, die jedoch als anpasserisch empfunden wurde, als Aufforderung, sich mit Nazideutschland zu arrangieren.
Genau einen Monat später bestellte Guisan alle höheren Offiziere zum Rapport auf die Rütliwiese. Dieser Ort war wegen seiner symbolischen Bedeutung als Wiege der Eidgenossenschaft ausgesucht worden.
In seiner Rede bekräftigte Guisan den Willen der Schweiz, sich gegen eine allfällige Invasion der Nazis zu wehren und verkündete auch die Reduit-Strategie mit der Konzentration der Verteidigung auf den Alpenraum im Falle eines Angriffs der Achsenmächte.
Kritische Forschungen belegen jedoch seit längerem, dass der General riskante Geheimabmachungen mit der französischen Seite abgeschlossen hatte. Auch seine Reduit-Strategie war schon während des Kriegs nicht unumstritten.
swissinfo und Agenturen
Der Rütli-Rapport von 1940 ist der Inbegriff für den Widerstand des Schweizer Volkes gegen die faschistischen Achsenmächte und General Henri Guisan wurde zum Sinnbild dafür.
Auf dem Rütli erläuterte er seine Réduit-Strategie, die eine Konzentration der Streitkräfte in den Alpen vorsah.
In der Schweiz werden Generäle nur zu Kriegszeiten ernannt. Deshalb trat Guisan am 8. Mai 1945, am Tag des Friedens, zurück.
Die Rütliwiese über dem Vierwaldstättersee gilt in der Legende als Gründungsort der Eidgenossenschaft.
Dort sollen die drei Urkantone, Uri, Schwyz und Unterwalden, 1291 den Schwur geleistet haben, sich im Kampf gegen die feudalen Habsburger gegenseitig zu unterstützen.
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