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Blochers Aussagen in der Türkei provozieren die Schweiz

Bundesrat Blochers Äusserungen freuten seinen Amtskollegen Cemil Cicek (r.), in der Heimat aber provozierten sie. Keystone

Der Schweizer Justizminister kritisiert die Antirassismus-Strafnorm, deretwegen zwei Türken in der Schweiz wegen ihrer Leugnung des Genozids an Armeniern angeklagt sind.

Die Kritik an der Antirassismus-Strafnorm übte Bundesrat Blocher an einem Symposium anlässlich des 80. Geburtstags des türkischen Zivilrechts in Ankara. In der Schweiz wurden seine Aussagen teils harsch kritisiert.

«Dieser Artikel macht mir Bauchschmerzen», sagte Justizminister Christoph Blocher am Mittwoch vor den Medien in Ankara. Er kritisierte damit den Artikel 261 bis des Strafgesetzbuches, Anti-Rassismusstrafnorm genannt.

Blocher drückte sein Bedauern aus, dass aufgrund dieses Artikels in der Schweiz Strafuntersuchungen gegen prominente Türken laufen. So einerseits gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu, der als Chefideologe der türkischen Regierung gilt. Andererseits ermittelt die Justiz auch gegen den Chef der linksnationalen türkischen Arbeiterpartei, Dogu Perinçek.

Beide leugnen öffentlich den Völkermord an den Armeniern von1915 bis 1919 im damaligen Osmanischen Reich.

Prüfung von Strafnorm-Änderung

Der Gesetzesartikel sei 1994 eingeführt worden, um die Leugnung des Holocaust, des Völkermordes an den Juden im Zweiten Weltkrieg, zu verhindern, sagte der Chef des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD).

Damals habe niemand daran gedacht, dass aufgrund dieses Gesetzes ein renommierter türkischer Historiker von der Schweizer Justiz belangt werden würde, sagte Blocher und verwies auf die Meinungsfreiheit.

Das EJPD sei dabei, eine Änderung der Anti-Rassismusstrafnorm zu prüfen. Eine solche müsse aber vom Bundesrat und Parlament genehmigt werden.

Kritik aus der Schweiz

Die Äusserungen von Justizminister Christoph Blocher in der Türkei zur Anti-Rassismusstrafnorm stossen in der Schweiz auf Kritik. Für den Präsidenten der Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR), Georg Kreis, verstösst der Minister einmal mehr gegen die Gewaltentrennung.

Er habe den Eindruck, dass es sich dabei um die Kritik eines Regierungsmitglieds an einem laufenden Gerichtsverfahren handle, sagte Kreis.

Kreis widerspricht Blochers Äusserung, dass mit der Strafnorm nur die Leugnung des Holocausts an den Juden verhindert werden soll. «1994 war bei den Beratungen über die Antirassismus-Strafnorm im Nationalrat ausdrücklich auch vom Genozid an den Armeniern die Rede», sagte Kreis.

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EKR

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) wurde 1995 geschaffen. Sie drückt das Engagement der Landesregierung (Bundesrat) für einen Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus aus. Ihre Aufgabe ist es, jede Form von direkter oder indirekter rassenbedingter Diskriminierung zu bekämpfen. Grossen Wert legt sie auf die Prävention. Daneben fördert die EKR ein besseres Einvernehmen zwischen…

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CVP schockiert

Auch CVP-Präsident Christophe Darbellay kritisiert Blochers Auftritt vor den Medien in Ankara. «Es ist seltsam zu sehen, dass der SVP-Justizminister in ein Land geht, das nicht gerade ein Vorbild bei der Respektierung der Menschenrechte ist, und dort die Position des Schweizer Parlaments entschuldigt», sagte er.

Eine Änderung der Anti-Rassismusstrafnorm komme für die CVP nicht in Frage. Diese sei ein effizientes Mittel gegen den Extremismus der Rechten. Der Versuch, die Norm abzuschwächen sei auch ein Versuch, den Holocaust und andere Völkermorde als «Details der Geschichte» abzuqualifizieren. Dies sei schockierend, sagte Darbellay.

Freisinnige: Strafnorm bleibt

Für FDP-Fraktionschef Felix Gutzwiller kommt eine Änderung ebenfalls nicht in Frage. Die Norm sei eine wichtige Errungenschaft für die liberale und laizistische Schweiz. Allerdings sei das Gesetz noch jung und deshalb könne es Probleme bei der Anwendung geben.

Ueli Maurer, Präsident der Schweizerischen Volkspartei SVP, der auch Blocher angehört, wollte dagegen weder zu Blochers Ausführungen noch zur Anti-Rassismusstrafnorm Stellung nehmen.

Kritik auch von Grün-Links

Ursula Wyss, Fraktionschefin der Sozialdemokratischen Partei SP, sagte: «Die Gerichte in der Schweiz sind unabhängig und stehen nicht im Dienste Blochers.» Blochers Haltung sei «undemokratisch»; er müsse sich über seine Rolle als Justizminister und die Gewaltentrennung klar werden.

Für die Grünen ist es nun «offenkundig, dass Blocher in der Landesregierung fehl am Platz ist». In einem Communiqué heisst es: «Was Bundesrat Blocher sich heute in der Türkei geleistet hat, ist skandalös und für einen schweizerischen Justiz- und Polizei-Minister inakzeptabel».

swissinfo und Agenturen

Die historische Deutung der Ereignisse, bei denen zwischen 1915 und 1919 rund 1,8 Mio. Armenier getötet wurden, ist seit Jahren Grundlage für Spannungen zwischen der Türkei und europäischen Staaten, darunter befindet sich auch die Schweiz.

Die Parlamente verschiedener Staaten, unter ihnen Frankreich, Russland und Italien, haben das Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkannt.

1987 hatte sich das europäische Parlament dieser Betrachtungsweise angeschlossen.

2003 folgte der Schweizerische Nationalrat, die grosse Parlamentskammer. Die Schweizer Regierung zieht es vor, von «Deportationen» und «Massakern» zu sprechen.

Bundesrats-Visiten in der Türkei waren in der Vergangenheit mehrmals geplatzt – die letzten beiden Male wegen kurzfristiger Absagen aus Ankara.

2005 wurde der damalige Wirtschaftsminister Joseph Deiss – offiziell aus Termingründen – wieder ausgeladen, im Herbst 2003 war es Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ebenso ergangen.

Weiter hat die Türkei die Schweizer Firma Pilatus von der Konkurrenz für die Beschaffung eines neuen Flugzeuges ausgeschlossen.

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