Blut der Verwandten identifiziert die Toten
Viele Skelette aus Massengräbern im ehemaligen Jugoslawien haben immer noch keinen Namen. Eine Organisation nimmt jetzt Verwandten Blut ab, auch in der Schweiz.
Dank einer Schweizer Methode können die DNA-Profile verglichen und Opfer ethnischer Säuberung identifiziert werden.
«Unsere Aufgabe besteht darin, denjenigen Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien ein paar Tropfen Blut zu entnehmen, deren Verwandte immer noch vermisst werden», sagt Mustafa Ciczmic, Arzt bei der «International Commission on Missing Person» (ICMP).
Es ist die zweite Runde von Blutentnahmen in Europa. Bei der ersten in Österreich, Deutschland und Schweden sammelte das ICMP über 4500 Blutproben. Sie stammen von Menschen, die einen direkten Bezug zu den Verschwundenen hatten, also Väter, Mütter, Brüder, Schwestern oder Kinder.
Spätes Aufarbeiten ethnischer Säuberungen
«Wir haben eine Liste mit ungefähr 1500 Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz, die von unserer Recherche betroffen sind», sagt Ciczmic.
Es handle sich dabei vor allem um Menschen aus Bosnien, aber auch um serbische, kosovo-albanische und kroatische Flüchtlinge.
In Bosnien, dem Kosovo und Kroatien kam es beim Zerfall der Volksrepublik Jugoslawien in den 90er-Jahren zu ethnischen Säuberungen.
«Wir möchten Menschen in der Schweiz, die Angehörige vermissen, aufrufen, sich mit unseren Teams in Verbindung zu setzen», sagt Asta Zinbo gegenüber swissinfo. Sie leitet die «Civil Society Intiatives» beim ICMP.
Teure Methode
An den Blutproben der Verwandten werden DNA-Tests durchgeführt, die per Computer mit der DNA verglichen wird, die aus exhumierten Knochen stammt.
«Diese Methode ist sehr teuer und kompliziert», erklärt Thomas Krompecher gegenüber swissinfo, «aber es ist die einzige Methode, um Leichen zu identifizieren, die nur noch Skelette sind.»
Krompecher ist Direktor des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Lausanne und sitzt im wissenschaftlichen Beirat der ICMP.
Er gilt als einer der Erfinder dieser aufwändigen Methode, die seit vier Jahren eingesetzt wird. «Nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien standen wir vor der Aufgabe, 20’000 bis 30’000 namenlose Opfer ethnischer Säuberungen zu identifizieren.»
Von Schlieren bis Genf
Erste Blutproben in der Schweiz nahmen Ciczmic und seine drei Assistenten am vergangenen Freitag in Schlieren bei Zürich. Danach fuhren sie für zwei Tage nach Emmenbrücke bei Luzern.
Bis am kommenden Sonntag werden sie in Genf, Yverdon und Cernier bei Neuenburg arbeiten. Zur gleichen Zeit sind andere ICMP-Teams in Österreich, Dänemark, Deutschland, Holland und Slowenien im Einsatz.
Zweite europäische Kampagne
Nach den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Kosovo werden nach Schätzungen des ICMP immer noch 25’000 Menschen vermisst, 20’000 alleine in Bosnien-Herzegowina.
Das Schweizer Aussenministerium unterstützt die ICMP finanziell, ebenso die Europäische Union und Firmen. «Die Schweiz hat diese Kampagne nicht direkt finanziert, aber die Regierung hat mehrfach Beiträge zur Arbeit von ICMP geleistet», sagt Zinbo.
Die Schweiz habe vor allem zur Arbeit der DNA-Labore und eines Exhumierungs-Programms beigetragen. Ausserdem habe sie eine Initiative zur Vergangenheits-Bewältigung unterstützt.»
Urs Breiter, Schweizer Botschafter in Bosnien-Herzegowina, erklärt: «Es ist wichtig, dass Familien von Vermissten Antworten erhalten, auf die sie so lange gewartet haben.»
swissinfo und Agenturen
Hotline bei der sich Angehörige für Blutproben melden können:
+387 61 809 103
In der Schweiz leben rund 370’000 Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien.
In den 90er-Jahren zerfiel Jugoslawien in blutigen Konflikten in Teilrepubliken.
Die Kämpfe kosteten rund 350’000 Menschen das Leben, ungefähr 3,5 Mio. wurden vertrieben.
In allen Konflikten kam es zu ethnischen Säuberungen.
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