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Buch lässt Dramatik am Eiger wieder aufleben

Claudio Corti wird nach 9 Tagen aus der Eigernordwand geborgen. Alfred Winkler

Vor 50 Jahren machte die erste Rettung eines Alpinisten aus der Eigernordwand weltweit Schlagzeile. Drei Bergsteiger kamen damals ums Leben.

Das Buch «Corti-Drama» rekonstruiert die spektakuläre Rettungsaktion, untersucht die Rolle der Medien und trägt zur Rehabilitierung des einzigen Überlebenden bei, dem lange Zeit eine Mitschuld am Tod seiner Kollegen angelastet wurde.

Mit dem Fernrohr konnte anfangs August 1957 von der Kleinen Scheidegg ob Grindelwald aus mitverfolgt werden, wie die beiden Italiener Claudio Corti und Stefano Longhi in die berühmteste Wand der Alpen einsteigen. Zwei Tage später folgen die beiden Deutschen Günter Nothdurft und Franz Mayer.

Die beiden Seilschaften kommen nur schleppend voran und geraten in ernsthafte Schwierigkeiten. Erst Tage später gelingt es Dutzenden von Rettern aus sechs Nationen, den Italiener Corti mit einem 320 Meter langen Stahlseil aus der Wand zu retten. Sein Kollege Longhi stirbt an Hunger und Kälte.

Toter in der Wand als Publikumsmagnet

Longhis Leiche baumelt zwei Jahre lang am Seil, was viele Schaulustige anzieht. Ein unrühmliches Kapitel für Grindelwald, standen doch die einheimischen Bergführer damals abseits, weil sie eine Bergung für unmöglich hielten.

Von Nothdurft und Franz Mayer fehlt jede Spur, was verschiedene Seiten vermuten lässt, Corti trage eine Mitschuld an ihrem Tod. Um an ihr Material heranzukommen und sich so sein Überleben zu sichern, habe er sie in den Abgrund gestossen.

Erst vier Jahre später – im Jahr 1961 – werden die beiden aufgefunden. Sie hatten den Gipfel erreicht und waren beim Abstieg an Erschöpfung gestorben. Damit war der Italiener vom Verdacht befreit und quasi rehabilitiert.

Einmalige Fotografien

50 Jahre später legen der Schweizer Bergbuchautor Daniel Anker und der deutsche Eiger-Historiker Rainer Rettner ein Buch über diese Tragödie vor: Sie haben mit Augenzeugen gesprochen, mit Rettern, haben Claudio Corti in Italien besucht und Zugang zum Archiv des Berner Fotografen Albert Winkler erhalten, der die dramatische Rettung am Eiger dokumentiert hatte. Seine Bilder gingen um die Welt.

Laut Ko-Autor Daniel Anker ist das Eigerdrama für die Einheimischen noch immer lebendig. «Jene, die als Kinder miterlebt haben, wie man versucht hat, diese blockierten Kletterer zu retten, erinnern sich noch gut.»

Auch sei das Ereignis für Grindelwald bis heute ein Ärgernis geblieben, weil die dortigen Bergführer damals nicht retten konnten und wollten. «Sie hatten weder die technischen noch mentalen Voraussetzungen dazu. Die Rettung mit Stahlseilen kannte man kaum. Zudem war der Eiger ein Tabu für Grindelwald. Wer dort einstieg, war selber Schuld, hiess es.»

Medienrummel ohnegleichen

Das Drama am Eiger wurde von einem enormen Medienspektakel begleitet, auch, weil eine international zusammengesetzte Schar an eine Bergung der Alpinisten glaubte, die Einheimischen jedoch nicht.

«Die Leute wollten wissen, wie lange die Alpinisten überlebten – und all das mitten im Sommerloch.» Anker ist überzeugt, dass das Fernsehen, hätte es damals vor Ort sein können, eine Kamera installiert und das Ereignis in die gute Stube übertragen hätte.

«Unfälle, Rettungen, Dramen interessieren die Leute. Das zeigt auch der Tod von sechs Rekruten an der Jungfrau vor ein paar Wochen.»

Klar ist, dass der Tourismus in Grindelwald von diesem Medienrummel profitierte. «Die Einheimischen hören das zwar nicht gerne, denn der ‹Schandfleck Longhi› erinnert sie stets daran, dass sie bei der Rettung nicht so tatkräftig geholfen hatten», sagt Daniel Anker gegenüber swissinfo.

Ein Riesenspektakel, welches das Eigerfieber weiter anheizte, war die Bergung der Leiche Longhis zwei Jahre später, die von einem holländischen Verleger bezahlt wurde. «Er wollte gar den Luftraum sperren, weil er das Exklusivrecht für seine Zeitungen beanspruchte. Das hat aber nicht geklappt.»

Weder banal, noch ein Spaziergang

In den letzten Jahrzehnten hat sich in Sachen Rettungseinsätze vieles verändert: Grindelwald sei mittlerweile bestens gerüstet, habe auch nachts Alpinisten aus schwierigen Lagen befreit – dank Helikoptern mit der so genannten Longline. Für Anker ist klar: «Heute wären die zwei Italiener und die zwei Deutschen gerettet worden.»

Auch wenn es im heutigen High-Tech-Zeitalter dank Mobiltelefon einfacher sei, Hilfe zu rufen, könne man nie sicher sein: «Das klappt nicht immer. Einmal ist der Akku leer oder das Wetter schlecht. Dann wird es heikel.“

Obwohl die Eigernordwand hunderte Male durchklettert wurde, bleibt ihre Faszination ungebrochen. «Sie ist eine Tribüne, ein Amphitheater. Die Touristen können zuschauen, was die Kletterer machen. Die Wand bleibt interessant, weil sie 1800 Meter über der grünen Matte steht an vorderster Front. Man hört die Bahn und die Kuhglocken.»

swissinfo, Gaby Ochsenbein

Daniel Anker und Rainer Rettner: «Corti-Drama. Tod und Rettung am Eiger 1957-1961». AS Verlag Zürich, 2007.

Der Berner Historiker und Autor Daniel Anker, geboren 1954, hat zahlreiche Bergbücher sowie Skitouren- und Wanderführer herausgegeben.

Rainer Rettner, geboren 1967, recherchiert seit Jahren zur Geschichte der Eiger-Nordwand. Er besitzt eines der grössten Privatarchive zum Eiger. Rettner lebt bei Würzburg, D.

1899: Während des Stollenbaus für die Jungfraubahn kommen bei einem Sprengunfall im Eiger sechs Bauarbeiter ums Leben.

1935: Erster ernsthafter Versuch, die Nordwand zu durchsteigen. Max Sedlmayer und Karl Mehringer erfrieren in der Wand auf 3300 m Höhe. Die Stelle heisst seither «Todesbiwak».

1936: Die Bergsteiger Willy Angerer, Edi Rainer, Andreas Hinterstoisser und Toni Kurz sterben während des Abstiegs in der Nordwand.

1938: Den Deutschen Anderl Heckmair und Wiggerl Vörg und den Österreichern Fritz Kasparek und Heinrich Harrer gelingt der erste Durchstieg. Seither gibt es die «Heckmair-Route».

1957: Erste geglückte Rettung aus der Wand.

1963: Der Walliser Bergführer Michel Darbellay steigt als Erster allein durch die Nordwand.

1971: Erste Direktrettung aus der Nordwand per Helikopter. Damit beginnt eine neue Epoche im Rettungswesen.

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