Bundesrat lanciert Kampagne für Personenfreizügigkeit
Die Bundesrätinnen Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard und Micheline Calmy-Rey haben den Abstimmungskampf zur Personenfreizügigkeit eröffnet. Auf dem Spiel stehe der bilaterale Weg in der Europapolitik.
Am 8. Februar gehe es um einen Grundsatzentscheid, sagte Aussenministerin Calmy-Rey. Falls das Volk Nein zur Weiterführung der Personenfreizügigkeit und deren Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien sage, müsse die Schweiz das Abkommen Ende Mai kündigen. Die Abkommen der Bilateralen I würden automatisch dahinfallen.
Sie spreche keine Drohung aus, sagte Calmy-Rey. Wegen der rechtlichen Verknüpfung der Bilateralen I träten Ende November die Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse, das öffentliche Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Land- und Luftverkehr sowie Forschung ausser Kraft.
Dann müsste die Schweiz aus einer Schwächeposition als Bittstellerin bei der EU vorsprechen, um neue Abkommen auszuhandeln, so Calmy-Rey. Die entstehende Rechtsunsicherheit wäre Gift für die schweizerische Wirtschaft, der Schaden für die Schweiz ungleich grösser als für die EU.
Befürchtungen nicht eingetreten
Justizministerin Widmer-Schlumpf betonte, Personenfreizügigkeit bedeute nicht, dass jeder und jede in die Schweiz kommen könne. Eine Aufenthaltsbewilligung erhalte nur, wer einen Arbeitsvertrag habe, nachweislich selbständigerwerbend sei oder den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten könne.
Die Schweiz verfüge heute über sechs Jahre Erfahrung mit der schrittweisen Öffnung der Arbeitsmärkte. Es seien viele EU-Staatsangehörige gekommen, aber stets kontrolliert und nach den Bedürfnissen der Wirtschaft. Eingereist seien vor allem gut qualifizierte Arbeitskräfte.
Ein Migrationsdruck aus Osteuropa bestehe nicht, betonte Widmer-Schlumpf. Die Personenfreizügigkeit habe entscheidend zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Befürchtungen, es könnte zu einer Massen-Immigration, Lohn- und Sozialdumping sowie steigender Kriminalität kommen, hätten sich nicht bewahrheitet.
Sicherheit in unsicherer Zeit
Laut Volkswirtschaftsministerin Leuthard kommen wirtschaftlich turbulente Zeiten auf die Schweiz zu. In den letzten Jahren sei ein starkes und verlässliches Vertragsnetz mit der EU geknüpft worden: «Diese Verträge geben uns Sicherheit in einer unsicheren Zeit.»
Stabile Rahmenbedingungen seien heute für Unternehmen und damit für die Sicherung der Arbeitsplätze wichtig, erklärte Leuthard. Weiterführung und Ausdehnung des Abkommens seien kein Wagnis und kein Schritt ins Ungewisse. Übergangsfristen, Schutzklauseln und flankierende Massnahmen spannten ein Sicherheitsnetz auf.
Die Schweizer Firmen könnten ihren Bedarf an Fachkräften nicht allein im Inland decken, sondern seien auf die Rekrutierung im Ausland angewiesen, ergänzte Widmer-Schlumpf. Eine Umfrage habe gezeigt, dass 72 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe (KMU) bei einem Nein Firmenteile in die EU verlagern würden.
Mehr
Referendum
Ja der Kantone
Aus der Sicht der Kantone seien die Fortführung und die Ausdehnung der Personenfreizügkeit die logische Folge des bilateralen Wegs, bekräftigte der Walliser Staatsrat und Präsident der Volkswirtschafsdirektorenkonferenz Jean-Michel Cina. Der Bilateralismus sei eine Erfolgsgeschichte.
Eine Alternative böten die Gegner nicht, sagte Cina. Die Folgen einer Ablehnung wären gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten fatal, weil sie zu Wettbewerbsnachteilen für die Schweiz führen würden. Die Kantone würden auch in Zukunft Gewähr bieten, dass die flankierenden Massnahmen konsequent umgesetzt werden.
Referendum
Die Schweiz muss bis Ende Mai 2009 der EU mitteilen, ob sie das Abkommen zur Personenfreizügigkeit unbefristet weiterführen will. Für die Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien wären während längstens sieben Jahren, also bis 2016, Zuwanderungsbeschränkungen wie Kontingente möglich. Anschliessend erlaubte eine besondere Schutzklausel, während weiterer drei Jahre Kontingente wieder
einzuführen, wenn die Zuwanderung unerwünscht hoch ist.
Über die beiden Personenfreizügigkeits-Vorlagen wird in einem Paket abgestimmt. Die Junge Schweizerische Volkspartei hat zusammen mit anderen Organisationen das Referendum zustande gebracht. Ihre Mutterpartei, die das Referendum nicht unterstützte, hat am vergangenen Samstag die Nein-Parole zur Vorlage beschlossen.
swissinfo und Agenturen
Das Abkommen über den freien Personenverkehr mit den 15 «alten» EU-Staaten ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft. Im September 2005 hat das Schweizer Stimmvolk einer Ausdehnung auf die zehn Länder zugestimmt, die im Mai 2004 zur EU stiessen.
Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU ist bis 2009 befristet. Seitens der EU wird das Abkommen stillschweigend verlängert, in der Schweiz ist die Fortführung dem fakultativen Referendum unterstellt.
Gleichzeitig mit der Weiterführung soll die Personenfreizügigkeit auf die neusten beiden EU-Mitglieder, Rumänien und Bulgarien, ausgedehnt werden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch