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Der Finanzplatz Schweiz zieht Investitionen an – und Kriminelle

Piano medio di Dounia Rezzonico in abiti formali; guarda alla sua destra e sorride; sul fondo; due piante e una bandiera CH
Die Chefin der Abteilung Wirtschaftskriminalität der Bundesanwaltschaft, Dounia Rezzonico. Hier eine Aufnahme aus dem Archiv. © Keystone / Ti-press / Gabriele Putzu

Dounia Rezzonico hat vier Jahre lang die Tessiner Aussenstelle der Bundesanwaltschaft (BA) in Lugano geleitet. Seit kurzem ist sie Chefin der Abteilung Wirtschaftskriminalität der BA. Im Interview mit swissinfo.ch zeigt Rezzonico die Prioritäten, Schwierigkeiten und Perspektiven im Kampf gegen Verbrechen wie Geldwäscherei und internationale Korruption auf. 

Dounia Rezzonico hat sich insbesondere um den Verfahrenskomplex Petrobras-Odebrecht gekümmert, eine gewaltige Korruptionsaffäre, die in Brasilien ihren Anfang nahm und rund ein Dutzend Länder erfasste. Dabei spielte auch der Finanzplatz Schweiz eine Rolle. Sie leitete Strafverfahren und war an der Abwicklung von Rechtshilfeersuchen beteiligt.

swissinfo.ch: Welche Prioritäten setzen Sie in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität?

Dounia Rezzonico: Vor allem müssen wir effizient und reaktionsschnell sein. Zudem müssen wir über eine adäquate Gesetzesgrundlage sowie entsprechende technische Hilfsmittel verfügen. Die Rahmenbedingungen führen dazu, dass wir unsere Arbeitsweise als Strafermittlungsbehörde ständig anpassen müssen.

Um die unterschiedlichen Formen internationaler Kriminalität zu bekämpfen, müssen wir immer stärker interdisziplinär arbeiten. In grossen Fällen wie Petrobas-Odebrecht haben wir eine Task-Force eingesetzt, in welcher alle unterschiedlichen Kompetenzen vorhanden sind, über die wir in der BA verfügen. 

«Wir müssen über eine adäquate Gesetzesgrundlage sowie entsprechende technische Hilfsmittel verfügen.»

Im Rahmen dieses Verfahrenskomplexes sind wir in Genf auf einen Server gestossen, der Beweismittel enthielt. Um die gewaltigen Datenmengen in effizienter Weise zu sichten und auszuwerten, waren die unterschiedlichen Kompetenzen der Mitglieder unserer Task-Force sehr wichtig.  Das interdisziplinäre Arbeiten ist von fundamentaler Bedeutung, um die technologischen Herausforderungen zu meistern. Dazu kommt natürlich die Zusammenarbeit zwischen Behörden auf nationaler und internationaler Ebene. 

swissinfo.ch: Fast jedes Mal, wenn in der weiten Welt ein Skandal auffliegt, ist der Schweizer Finanzplatz involviert. Da stellt sich die Frage: Haben wir gute Gesetze zur Eindämmung der Finanzkriminalität, die schlecht angewendet werden, oder werden die Gesetze gut angewendet, reichen aber nicht aus?

D.R.: Es ist leider so, dass die geltenden Gesetze nicht immer Schritt halten mit den realen Entwicklungen. Und dies gilt auch für die Wirtschaftskriminalität. Der Schweizer Finanzplatz ist nicht nur für Investitionen interessant, sondern – wegen seiner Stabilität – auch für kriminelle Machenschaften. Es stimmt, dass die Schweiz häufig vorkommt, genauso wie andere Länder. Darauf kann man nicht unbedingt stolz sein.

Wir verfügen über Instrumente, dieses Phänomen zu bekämpfen. Doch meiner Meinung nach könnte es einfacher sein, im Falle von Geldwäscherei oder Korruption zu gerichtlichen Urteilen zu gelangen. Im Vergleich mit dem Ausland fällt auf, dass wir auch in Bezug auf Sanktionen durchaus eine etwas härtere Gangart haben könnten. 

swissinfo.ch: Im Falle des Korruptionsfalls Petrobras-Odebrecht haben Sie sich anfänglich mit den aktiven Bestechern und den passiv Bestochenen befasst. In der so genannten «dritten Phase» geht es nun darum, mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeiten von Akteuren des Finanzplatzes Schweiz festzustellen. An welchem Punkt befinden sich Ihre Ermittlungen?

D.R.: Die dritte Phase läuft momentan. Aus den bisherigen Ermittlungen im Rahmen der Affäre Petrobas-Odebrecht haben wir einige wichtige Erkenntnisse gewonnen, die nun verwendet werden, um eine eventuelle strafrechtliche Verfolgung von Finanzvermittlern in der Schweiz abzuklären. Zurzeit gibt es zwei Verfahren gegen zwei Schweizer Finanzinstitute. Sie stehen unter dem Verdacht, dass ihre interne Organisation lückenhaft war und so die Begehung einer Straftat ermöglichte.

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Der Artikel 102 des Strafgesetzbuches erlaubt es, strafrechtlich gegen ein Unternehmen vorzugesehen, wenn es nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, um Straftaten wie Geldwäsche und Korruption zu verhindern.

swissinfo.ch: Es ist bis heute noch zu keinem Prozess wegen Verstosses gegen Artikel 102 gekommen, aber die Verfahren in diesem Zusammenhang haben zugenommen. Es scheint, als ob die BA die Rechtsprechung «testet», um zu verstehen, wie weit sie mit der strafrechtlichen Verfolgung von Unternehmen gehen kann. Wo liegen die Schwierigkeiten in der Anwendung des Artikels 102?

D.R.: Seit Inkrafttreten des Artikels 102 des Strafbesetzbuchs im Jahr 2003 ist die Zahl der eröffneten Verfahren gegen juristische Personen gestiegen, auch wenn diese nicht immer zu Verurteilungen geführt haben.

Wie in allen Bereichen testet die BA effektiv einen neuen Artikel und die entsprechende, sich stets weiter entwickelnde Rechtsprechung. In Bezug auf den Artikel 102 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass als Kriterium für die Strafbarkeit eines Unternehmens die Straftat einer natürlichen Person, die im gleichen Unternehmen beschäftigt ist, als Voraussetzung gegeben sein muss.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen durchaus die Effizienz dieser Strafnorm auf – angesichts der ausgesprochenen Strafen beziehungsweise Bussen. Häufig zeigen sich jedoch Unterschiede zu den Vergehen, die den natürlichen Personen angelastet werden. Auch aus diesem Grund hat die BA 2015 ein internes Gremium konstituiert – die Gruppe 102 – , welche die Arbeiten der in diesem Bereich tätigen Bundesstaatsanwälte begleitet und koordiniert. Dies mit dem Ziel, einen einheitlichen Anwendungsmodus zu erreichen. Die Antwort, ob uns dies gelungen ist, werden in Zukunft die Gerichte geben.

swissinfo.ch: Die OECD wie auch diverse Experten in der Schweiz sprechen von einer wenig abschreckenden Wirkung der bisher ausgesprochenen Bussen im Falle von internationaler Korruption, vor allem in Bezug auf die Unternehmungen. Sollte man für internationale kriminelle Organisationen die Höchststrafe anheben?

D.R.: Bei der Bemessung einer Busse muss sich die BA an das Gesetz halten. Sicherlich fällt das vorgesehene Strafmass bei uns im Vergleich zu ausländischen Normen geringer aus. Das gilt aber nicht nur für diese Art von Delikten. Der ganze Normenapparat zur strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen entwickelt sich weiter – wie bei Rechtsfragen üblich – und die Zukunft wird zeigen, ob und welche Änderungen der Gesetzgeber vornehmen will.

«Fälle von Wirtschaftskriminalität werden immer komplexer. Auch wegen des Umfangs gesammelter Daten.»

swissinfo.ch: Die Bundesanwaltschaft ist immer häufiger mit Fällen von Wirtschaftskriminalität konfrontiert. Zugleich dauern die einzelnen Verfahren immer länger. Sollte man daher die Verjährungsfristen verlängern oder gibt es andere Möglichkeiten, auf die Länge der Verfahren zu reagieren?

D.R.: Fälle von Wirtschaftskriminalität werden immer komplexer. Und dies nicht nur wegen der internationalen Verästelungen, sondern auch wegen des Umfangs gesammelter Daten. Ich bin überzeugt, dass wir unsere Effizienz im digitalen Zeitalter verbessern müssen. Daran arbeiten wir.

Wichtig ist zudem, dass wir von unseren internationalen Partnern so früh wie möglich in die Strafverfahren eingebunden werden. Dann können wir möglichst direkt die Strafverfolgung aufnehmen und nicht erst a posteriori.

swissinfo.ch: Ist es möglicherweise ein Problem, dass die Strafprozessordnung nicht wirklich auf komplexe und weit verzweigte Fälle ausgerichtet ist?

D.R.: Wir müssen uns an diese Regeln halten. Aber tatsächlich gibt es gewisse Aspekte der Strafprozessordnung, die nicht für komplexe Fälle gedacht sind, also Fälle, wie wir sie bearbeiten. Dies erleichtert unsere Arbeit nicht und kann zu einer Verfahrensverlängerung führen. Diesem Aspekt müssen wir Rechnung tragen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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