Calmy-Rey vor heikler Türkei-Mission
Eineinhalb Jahre nach ihrer Ausladung durch Ankara holt die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihren Besuch in der Türkei nach.
Im Herbst 2003 war Calmy-Rey ausgeladen worden, nachdem das Waadtländer Kantonsparlament den Massenmord an Armeniern durch osmanische Truppen 1915 zum Genozid erklärt hatte.
Bei der Visite der Schweizer Aussenministerin, die von Dienstag bis Donnerstag dauert, ist auch ein Höflichkeitsbesuch beim türkischen Präsidenten Ahmet Necdet Sezer vorgesehen, teilte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit.
Neben den bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei werden an den offiziellen Gesprächen mit Aussenminister und Vizepremier Gül die jeweilige EU-Politik der Schweiz und der Türkei ein Thema sein, ebenso wie regionale und globale Fragen.
Gespräche in Dyarbakir
Am zweiten Besuchstag wird Calmy-Rey den Südosten der Türkei besuchen und sich im kurdischen Dyarbakir mit Vertretern der Zentral- und Lokalverwaltung sowie mit Repräsentanten verschiedener nichtstaatlicher Organisationen treffen.
Am dritten Tag hält die EDA-Vorsteherin in Istanbul vor der Schweizerischen Handelskammer in der Türkei einen Vortrag über die Stellung der Schweiz in Europa und die bilateralen Beziehungen zur Türkei.
Genozid an Armeniern
Ob Micheline Calmy-Rey auch das Thema des Völkermordes an den Armeniern 1915 anschneidet, konnte EDA-Sprecher Alessandro Delprete im Vorfeld des Besuches gegenüber swissinfo nicht sagen.
Die Visite Calmy-Reys in der Türkei war ursprünglich für September 2003 geplant, wurde aber wegen eines Streits um die Armenierfrage kurzfristig abgesagt.
Initiativen aus der Westschweiz
Das Parlament des Kantons Waadt hatte damals ein Postulat an die Kantonsregierung überwiesen, in dem die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich von 1915 als Genozid bezeichnet wurden.
Die Türkei zitierte darauf umgehend den Schweizer Botschafter ins Aussenministerium. Aus Protest vertagte Ankara den Besuch von Calmy-Rey auf ein unbestimmtes Datum.
In der Dezember-Session 2003 zog auch der Nationalrat nach und bezeichnete die Massaker ebenfalls als Völkermord, was die gespannte Beziehung zwischen den beiden Ländern noch einmal verschärfte. Den beiden Beispielen folgte auch das Parlament der Stadt Genf mit einer entsprechenden Genozid-Erklärung.
Deiss als Vermittler
Am Weltwirtschafts-Forum in Davos (WEF) Anfang 2004 konnte der damalige Bundespräsident Joseph Deiss die Wogen in einer Unterredung mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und Micheline Calmy-Rey glätten.
Die Verstimmungen wurden schliesslich im vergangenen Sommer bei einem Besuch der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats in Ankara beigelegt. Der letzte offizielle Arbeitsbesuch zwischen Bern und Ankara auf Aussenminister-Ebene fand vor vier Jahren statt.
swissinfo und Agenturen
Am 24. April jährt sich zum 90. Mal der Völkermord an der armenischen Zivilbevölkerung.
Zwischen 1915 und 1918 sind in den Endwirren des Osmanischen Reichs zwischen 800’000 und 1,8 Mio. Armenier umgebracht oder vertrieben worden. Die Türkei leugnet diesen Genozid bis heute.
Der Grundstein für die moderne Türkei wurde 1923 in der Schweiz gelegt (Erklärung zum Nationalstaat in Lausanne).
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