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Chinas Autowahn

Sehr gefragt: BMWs und Mercedes vor einem Nachtklub. Christian Binz

Die Zeiten, als Peking die Hauptstadt des Fahrrads war, sind definitiv vorbei. Autos wälzen sich in so grosser Zahl durch die Metropole, dass der drohende Verkehrskollaps inzwischen zu den heissesten Gesprächsthemen gehört.

Fast alle sehnen sich in China nach einem eigenen Auto und übersehen dabei, dass eigentlich das Fahrrad weiterhin (oder wieder) das beste Fortbewegungsmittel in der Stadt wäre.

So hat sich die Zahl der Autos in Peking in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Allein 2010 kamen pro Tag 2000 neue Fahrzeuge auf die Strassen (insgesamt 850’000 Wagen), rund dreimal mehr als im selben Jahr in der ganzen Schweiz verkauft wurden.

Im sozialistischen China bestimmt inzwischen ironischerweise vor allem die Automarke den sozialen Status. So gibt sich auf Pekings Strassen Tag für Tag eine Armada mitunter ziemlich teurer Autos ein heiteres Stelldichein.

Stau ist Normalität

Pekings Ringautobahnen sind dabei der Ort, wo sich die neuen und alteingesessenen Autobesitzer täglich in der Rush Hour zum kollektiven Schlange-Stehen treffen. Nicht selten steht man abends im Taxi eine halbe Stunde an Ort und Stelle, weil das Strassennetz komplett kollabiert.

Bilder von Pekingern, die sich mit ihrem Gepäck zu Fuss an fünfspurigen stehenden Autokolonnen entlang zur nächsten U-Bahnstation durchkämpfen, gehören inzwischen zum normalen Stadtbild.

Auch Staus auf Autobahnen haben in China eine neue, surreale Dimension erreicht. Als Peking im August letzten Jahres einige wichtige Strassenabschnitte sanierte, entwickelte sich auf einem der wichtigsten Autobahnzubringer ein bis in die Innere Mongolei reichender, 100 Kilometer langer Stau, der sich erst nach 10 Tagen wieder auflöste.

Kampf der Blechlawine

Verzweifelt versucht Pekings Stadtregierung, der wuchernden Blechlawine in der Innenstadt Herr zu werden. Autoverkäufe sind inzwischen kontingentiert. Dieses Jahr werden «nur» noch 240’000 neue Wagen auf den Strassen der Hauptstadt zugelassen.

Neue Nummernschilder werden in einer Lotterie vergeben, die Nachfrage übersteigt das gesetzlich beschränkte Angebot jedoch um das Fünffache.

Die aussichtslose Situation in der Rush Hour sorgt einerseits für strapazierte Nerven bei Pekings Pendlern, Buschauffeuren und Taxifahrern, fördert aber andererseits auch alle möglichen Innovationen im Stadtverkehr.

Eine interessante und typisch chinesisch pragmatische Lösung ist der Hochbus. Peking tüftelt offenbar an Bussen, die auf Schienen und Stelzen fahren. Der Hochbus kann so stehende Autokolonnen kurzerhand überfahren, die Leute steigen in erhöhten Plattformen ein und aus.

Elektro-Mobilität im Trend

Andererseits ist in Chinas Grossstädten auch Elektro-Mobilität in den verschiedensten Formen schon weit verbreitet. Am beliebtesten sind Elektroroller, die – abgesehen vom Hupen – nahezu geräuschlos durch die Strassen flitzen und dabei zwei Leute, mehrere Gepäckstücke oder manchmal auch ganze Familien am Stau vorbei durch die Stadt transportieren.

Das Konzept bewährt sich so gut, dass auch alle möglichen anderen Vehikel, vom Klappvelo über den Schubkarren bis hin zum Kleinlaster inzwischen mit Elektroantrieb unterwegs sind.

Sogar die ärmsten Leute, die sich ihren Lebensunterhalt mit Abfallsammlung und –Trennung verdienen, profitieren davon. Sie kreuzen auf ihren verrosteten Lastvelos mit surrendem Elektromotor durch die Stadt und rauchen dabei gemütlich eine Zigarette.

Die Freiheiten der Velofahrer

Westler wie ich, die noch unter Aufwendung ihrer ganzen Muskelkraft ein Fahrrad antreiben, werden von Chinesen eher mitleidig belächelt. Die Lächelnden verkennen jedoch die gewichtigen Vorzüge, welche dieses Fortbewegungsmittel im zunehmend chaotischen Verkehrsdschungel Pekings aufweist.

Fahrräder sind inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes eine Randerscheinung. Dies hat den Vorteil, dass man am Strassenrand noch etwas Freiraum findet und auf keinerlei Interesse bei den Ordnungshütern stösst.

Ampeln müssen nicht beachtet werden, Trottoirs stehen als attraktive Ausweichrouten überall zur Verfügung und auch die falsche Strassenseite kann jederzeit hemmungslos im Gegenverkehr befahren werden.

Die Zufriedenheit des Velofahrers

Nicht selten werden mein Fahrrad (Marke «fliegende Taube», das Flaggschiff kommunistischer Fahrradbaukunst) und ich auch von hippen Chinesen in Luxuskarossen unverfroren ausgelacht.

Wir beide haben uns nun aber eine passende Antwort darauf ausgedacht. Bei der nächsten roten Ampel fahren wir betont langsam und nahe an den teuren Autos vorbei, lächeln süffisant und schlängeln uns dann zufrieden bei Rot über die heillos verstopfte Kreuzung.

Von der anderen Seite der Kreuzung winken wir nochmal kurz zurück und fahren gemütlich weiter, der im Smog untergehenden Sonne entgegen.

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Christian Binz, der gegenwärtig in Beijing forscht. 

Bis im Sommer 2011 berichtet er für swissinfo.ch über seine Erfahrungen und Beobachtungen in Beijing.

Christian Binz ist 27 Jahre alt. Er hat an der Universität Bern Geographie mit den Nebenfächern Volkswirtschaft, Philosophie und Chinesisch studiert.

Für seine Masterarbeit untersuchte er das chinesische Innovationssystem für dezentrale Wasserrecycling-Technologie.

Aus dieser Arbeit entwickelte sich seine Doktorarbeit, ein Kooperationsprojekt zwischen der Eawag (Wasserforschungsinstitut an der ETH) und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Seit September 2010 lebt er in Peking und arbeitet für sein Projekt, das untersucht, ob China in seinem urbanen Wassermanagement zu nachhaltigeren Lösungen finden könnte.

Christian Binz war insgesamt schon fünfmal in China und hat weite Teile des Landes bereist.

Nebst Reisen ist sein grösstes Hobby die Musik, insbesondere seine Band Karsumpu, wo er Mundharmonika, Piano und diverse «Binztrumente» spielt (www.karsumpu.ch).

Nebenbei ist er begeisterter Filmer, Sportler und Hochseesegler.

Nebst seiner Muttersprache Deutsch spricht er Englisch, Italienisch, Französisch und Chinesisch.

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