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Chriesisturm: Das Kirschenrennen des Kantons Zug

Männer mit Leitern rennen vor Zuschauenden durch die Zuger Altstadt.
Wer die schnellsten Beine hat, bekommt die süssesten Kirschen. In der Stadt Zug ist der Brauch des Chriesistrums wieder lebendig. Keystone / Urs Flueeler

Ein uralter Wettkampf mit acht Meter langen Leitern unter dem Arm: Der Chriesisturm in Zug ist die älteste lebende Kirschtradition der Schweiz.

Der Kanton Zug ist in der ganzen Schweiz für seine Kirschen bekannt: die Chriesi, wie man sie im Schweizerdeutschen nennt. Die lange landwirtschaftliche Tradition, die mit dieser Frucht verbunden ist, hat hier eine echte Kirschenkultur hervorgebracht, die seit 600 Jahren besteht und sich in Kulinarik und Volksbräuchen ausdrückt.

Chriesisturm und der Beginn der Kirschensaison

Mit dem Einzug des Sommers feiert Zug den Chriesisturm, der traditionell den Beginn der Kirschensaison markiert. Der Brauch, der auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, besteht im Läuten der Chriesigloggä (Kirschenglocke) der St. Michaelskirche um die Mittagszeit. Es soll die Bevölkerung darüber informieren, dass die Kirschen zum Pflücken bereit sind ‒ und löst einen einzigartigen Wettbewerb aus.

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Ausgerüstet mit über acht Meter langen Holzleitern und Chriesihutten ‒ einer Art von Körben, die man sich auf den Rücken schnallt ‒ machten sich die Läuferinnen und Läufer auf den Weg auf die Allmend, ein Gebiet mit vielen Kirschbäumen, die einst allen Bürgerinnen und Bürgern gehörten.

Wer es als Erster schaffte, seine Leiter an den Baum zu stellen, durfte sich die schönsten und süssesten Kirschen pflücken.

Zur Ernte aufzubrechen, bevor die Glocke läutete, war streng verboten und strafbar, so dass die Stadt sogar einen Chriesiwächter einsetzte, der in den Wochen vor der Ernte Tag und Nacht das Gebiet bewachte.

Kirschendiebe, die auf frischer Tat ertappt wurden, erhielten eine Geldstrafe oder wurden im Gefängnis Zytturm eingesperrt.

Mit der Verstädterung und dem Rückgang der landwirtschaftlichen Tätigkeit wurde der Kirschenanbau im 20. Jahrhundert reduziert und die Tradition des Chriesisturms ging verloren.

Wiederbelebte Tradition

Seit 2008 hat sich dieser Trend dank der Interessengemeinschaft zur Förderung der Zuger Kirsche (IG Zuger Chriesi) aber gekehrt. Sie setzt sich für den gezielten Anbau ein und engagiert sich für die Wiederbelebung des alten Brauchtums, indem sie den Kirschbaum wieder in den Mittelpunkt der Region rückt.

Seit 2009 ist der Chriesisturm wieder zum Leben erweckt. Um seine Bedeutung zu unterstreichen, hängen die Leitern aus den Rennen das ganze Jahr über an den Wänden des alten Rathauses.

Im Jahr 2011 hat die Unesco den Kirschenanbau im Kanton Zug im Rahmen des Übereinkommens zum Schutz des immateriellen Kulturerbes offiziell zur lebendigen Tradition der Schweiz erklärt.

Jedes Jahr im Juni ist die Zuger Altstadt Schauplatz dieses spektakulären Rennens, das dieses Jahr am 24. Juni stattgefunden hat.

Das Rennen wird in Teams ausgetragen. Sie müssen einen kniffligen Parcours durch die Altstadt bewältigen. Neben dem Wettkampf gibt es am Chriesisturmtag ein Fest zu Ehren der ikonischen Frucht der Stadt Zug.

Auf dem Landsgemeindeplatz wird ein Markt, der Chriesimärt, der älteste Kirschenmarkt der Schweiz, aufgebaut, der mehrere Wochen dauert und an dessen Ständen viele, zum Teil seltene Sorten zu finden sind. In der Schweiz gibt es rund 350 verschiedene Kirschensorten in unterschiedlichen Formen und Farben.

Marktstand in Zug
In der Schweiz gibt es rund 350 verschiedene Kirschensorten. Am “Chriesimärt” in Zug kann man einige davon probieren. Keystone / Urs Flueeler

Regionale Spezialitäten

Der Kirschenanbau im Kanton Zug spielte lange eine wichtige Rolle für die Region, da er in das wirtschaftliche und soziale Leben integriert war. Die Baarebene soll eine der fruchtbarsten Gegenden der Schweiz gewesen sein.

Die ersten Rezepte für Speisen und Getränke, die mit Kirschen zubereitet wurden, gehen auf das 18. Jahrhundert zurück. Zum Beispiel das alte Rezept für den Türkenbund von KirschenExterner Link ‒ ein Kuchen aus Kirschen, Eiern, Butter und Hartweizengriess, ähnlich dem französischen Clafoutis, welches in einem alten Rezeptbuch im Archiv der Stadt Baar zu finden ist.

Apropos Kirschen: Es ist unmöglich, in diesem Zusammenhang Kirsch nicht zu erwähnen, eines der berühmtesten und ikonischsten Kirschgetränke. Ende des 19. Jahrhunderts exportierte die Zuger Kirschwasser-Gesellschaft den hiesigen Kirsch mit grossem Erfolg in die ganze Welt und festigte damit den ausgezeichneten Ruf der Zuger Kirschenprodukte.

Mit dem Kirsch erfand der Konditor Heinrich Höhn im 20. Jahrhundert ein weiteres Zuger Kulturgut und eine berühmte Schweizer Spezialität: die Zuger Kirschtorte, die internationale Anerkennung fand.

In Zug können Sie auch das Zuger Kirschtorten-Museum im Treichlerhaus besuchen, wo die ursprüngliche Torte erfunden wurde und diese auch verkostet werden kann.

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