CIA-Gefängnisse: Dick Marty klagt an
Der Schweizer Dick Marty erhebt als Sonderermittler des Europarates schwere Vorwürfe an die Adresse Polens und Rumäniens. Dort seien mit Billigung der Regierung CIA-Gefängisse betrieben worden.
An den Pranger stellt Marty auch Deutschland und Italien, weil sie Ermittlungen behindert hätten. Alle angeschuldigten Länder wehren sich gegen die Vorwürfe.
In Polen und Rumänien hat der US-Geheimdienst CIA zwischen 2002 und 2005 Geheimgefängnisse betrieben.
Zu diesem Schluss kommt der Ermittler des Europarats, der Schweizer Dick Marty, in seinem am Freitag vorgelegten Bericht.
Nach den vom Tessiner Ständerat in Paris veröffentlichten Angaben hatten unter anderem der frühere und der jetzige Staatspräsident Rumäniens, Ion Iliescu und Traian Basescu, sowie der damalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski von den Gefängnissen des US-Geheimdienstes auf ihrem Territorium gewusst.
In einem Zwischenbericht hatte Marty vor einem Jahr von Hinweisen für Geheimgefängnisse in Osteuropa für Terrorverdächtige geschrieben. «Was bisher Vermutungen waren, ist jetzt bewiesen», heisst es nun. «Eine grosse Zahl von Menschen wurde an verschiedenen Orten der Welt entführt und in Länder gebracht, wo die Folter eine verbreitete Praxis ist.»
«Unverschämte» US-Haltung
Die USA hätten europäische Länder quasi als «Sub-Unternehmer» für die Inhaftierung von Terrorverdächtigen benutzt – laut Marty eine «unverschämte Haltung», die «von mangelnder Achtung gegenüber den europäischen Partnern» zeuge.
Marty erhob schwere Vorwürfe auch gegen mehrere Mitgliedsländer des Europarates, besonders gegen Deutschland und Italien. Diese hätten die Aufklärung illegaler Praktiken wie die Überstellung Terrorverdächtiger an die USA «wie ein Staatsgeheimnis» behandelt, so der Ermittler.
Dementis von höchster Stelle
Warschau und Bukarest wiesen Martys Vorwürfe umgehend zurück. «Es hat keine Geheimbasen in Polen gegeben», sagte ein Sprecher des polnischen Aussenministeriums am Freitag in Warschau.
Die rumänische Regierung bestritt Martys Vorwürfe ebenfalls. Das Aussenministerium bezeichnete diese als unbewiesen und «bedauerlich». Auch Deutschland wollte von den Vorwürfen nichts wissen.
Brüssel besorgt
Die EU-Kommission forderte die EU-Staaten auf, die Vorwürfe von Geheimgefängnissen rasch zu untersuchen. Die EU-Kommission sei «in der Tat sehr besorgt» über den Bericht, sagte ein Sprecher. Er betonte, auch beim Kampf gegen den Terrorismus müsse es die «volle Achtung der Grundrechte geben».
Der Bericht bringt die enge Zusammenarbeit der USA mit mehreren Ländern Europas mit einem NATO-Abkommen in Verbindung, bei dem die USA im Oktober 2001 mit den anderen NATO-Staaten eine Vereinbarung über weit reichende Hilfestellungen beim «Krieg gegen den Terror» getroffen habe. Diese in Teilen geheime Abkommen sei vermutlich eine der Grundlagen für die CIA-Operationen in Europa gewesen, schreibt Marty.
Unbeirrte Kleinarbeit
Der 62-jährige frühere Staatsanwalt des Kantons Tessin lässt sich auch durch die Dementis von höchsten Stellen nicht von seinem Ziel abbringen. Er zeigte sich am Freitag überzeugt, dass sich seine Hartnäckigkeit ausbezahlt hat. «Die Europäer sollten die Wahrheit über die Vergangenheit eingestehen.»
Mit wenigen Mitarbeitern und sehr knappen Geldmitteln hat Marty dutzende Flugpläne der zivilen Flugkontrolle Eurocontrol nach Spuren durchforstet, er hat mit hochrangigen Geheimdienstlern aus den USA gesprochen und ebenso mit Verantwortlichen in Polen und Rumänien.
In Polen hat man ihm vorgeworfen, nicht selbst vor Ort recherchiert zu haben. «Das wäre nicht sinnvoll gewesen», replizierte Marty im Bericht. Denn: «Wir zweifeln nicht an der Kompetenz derjenigen, die die Spuren der Gefangenen verwischt haben.»
Prozessbeginn in Mailand
Während in Paris Marty seinen Bericht vorlegte, eröffnete gleichzeitig die italienische Justiz in Mailand das erste Gerichtsverfahren wegen des Geheimprogramms der CIA.
26 US-Bürger sind in Abwesenheit angeklagt, im Auftrag des US-Geheimdienstes einen muslimischen Geistlichen nach Ägypten entführt zu haben. Die USA lehnen eine Auslieferung der CIA-Verdächtigen ab.
swissinfo und Agenturen
Im November 2005 vermutete die NGO «Human Rights Watch» die Existenz von geheimen Haft-Lagern in Europa und Entführungen von Terrorismus-Verdächtigen durch die CIA.
Darauf beauftragte der Europarat den freisinnigen Schweizer Ständerat und ehemaligen Tessiner Staatsanwalt Dick Marty mit einer Untersuchung.
Marty publizierte am im Juni 2006 einen ersten Bericht. Darin beschuldigte er 14 europäische Staaten, CIA-Aktivitäten wie Inhaftierung und Transfers von Terror-Verdächtigten toleriert zu haben.
Der Bericht wirft auch der Schweizer Regierung vor, Vorwürfe über CIA-Überflüge im Schweizer Luftraum nicht ernst genommen zu haben.
Der nun vorgelegte Bericht mit den Beweisen diskutiert das Plenum des Europarats am 27. Juni in Strassburg. Davor wird er von der Kommission für Rechtsfragen und Menschenrechte des Europarats behandelt. Diese wird von Marty präsidiert,
Dick Marty (*1945 in Lugano) ist von 1975 bis 1989 Tessiner Staatsanwalt.
Von 1989 bis 1995 gehört er der Tessiner Kantonregierung an.
1995 wird er in den Ständerat gewählt.
Seit 1998 ist er im Europarat.
Ab 2005 präsidiert er die Rechts-Kommission und die Kommission für Menschenrechte des Europarats.
Im November 2005 wird Marty Sonderermittler des Europarats zu den umstrittenen CIA-Gefangenentransporten.
Hundert Mitglieder von National- und Ständerat fordern die Schliessung des US-Gefangenenlagers Guántanamo auf Kuba.
In einem öffentlichen Appell, der dem Parlament in Washington übergeben wird, folgen sie einem Aufruf von Amnesty International.
Die Erklärung, die ein Jahr nach dem Selbstmord dreier Guántanamo-Häftlinge veröffentlicht wird, wurde von allen grünen Parlamentariern, den meisten Sozialdemokraten, aber keinen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterzeichnet.
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