Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

CIA-Gefängnisse: Die Schweiz relativiert

Der US-Geheimdienst CIA wird verdächtigt, Gefängnisse in Osteuropa zu haben - wie hier auf einem rumänischen Militärstützpunkt. Keystone

Nach anfänglichem Schweigen haben am Wochenende gleich drei Mitglieder der Schweizer Regierung zur CIA-Affäre Stellung genommen.

Sie gingen vor allem auf Distanz zum Europarat-Sonderermittler Dick Marty, der die Schweiz und andere Länder Europas wegen ihrer Passivität gegenüber den USA kritisiert hatte.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey nahm in einem Interview der NZZ am Sonntag erstmals zur Publikation des vom Schweizer Geheimdienst abgefangenen ägyptischen Faxes über die mutmasslichen CIA-Gefängnisse in Osteuropa Stellung.

Sie sagte, der Inhalt des Dokuments sei nicht spektakulär und bescheinige dem Auslandgeheimdienst ein korrektes Vorgehen bei der verwaltungsinternen Information.

Glaubwürdigkeit angekratzt

Ein echtes Problem und schädlich für die Glaubwürdigkeit der Schweiz sei aber, dass dieses Dokument publik geworden sei.

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat deshalb von sich aus Kontakte mit den im Fax genannten Ländern zur Schadensbegrenzung aufgenommen. Es sind dies Rumänien, Bulgarien, die Ukraine, der Kosovo und Mazedonien.

Keine Beweise, nur Indizien

Die sozialdemokratische Bundesrätin verteidigte sich auch gegen den Vorwurf, die Schweiz habe die USA bisher mit Kritik verschont. Es gebe keine Beweise, nur Indizien für die CIA-Geheimgefängnisse, widersprach Calmy-Rey der Darstellung des Europarat-Sonderermittlers Dick Marty.

«Wir haben alles getan, was wir tun konnten», sagte sie und erinnerte an die Interventionen des EDA in den USA, mit denen Auskünfte verlangt worden waren. Die Schweiz gehöre zu den Ländern, die am hartnäckigsten in Washington vorgesprochen hätten.

Schweiz nicht Hüterin der Weltmoral

Am Samstag hatten auch die beiden freisinnigen Bundesräte Hans-Rudolf Merz und Pascal Couchepin am Rande der FDP-Delegierten-Versammlung in Burgdorf die Akzente anders gesetzt als ihr Tessiner Parteikollege Marty.

Der Bundesrat sei verantwortlich für die Beziehungen mit der Welt, sagte Innenminister Couchepin. Dazu gehöre auch ein gutes Verhältnis mit den USA. «Ich glaube, die Schweiz ist nicht die Hüterin der Moral in der Welt», sagte Couchepin und fügte hinzu: «Die Schweiz verteidigt moralische Prinzipien, ist aber nicht der Heilige Stuhl für Menschenrechte.»

Finanzminister Merz sagte, es sei eindeutig, dass Marty über Fakten verfüge, die der Bundesrat nicht habe. Er habe Verständnis dafür, dass Marty seine Faktenlage weitergeben möchte. Bisher habe man einfach zu wenig gewusst.

Marty selber hatte mit seinem Auftritt vom Freitagabend in Burgdorf erneut weltweites Aufsehen erregt. Für ihn steht ausser Frage, dass die CIA in Europa Menschen verschleppt hat und foltern liess.

Schweizer Bevölkerung für Protest bei der US-Regierung

75 Prozent der Schweizer Bevölkerung fordern laut einer Meinungsumfrage, die Landesregierung solle bei der US-Regierung wegen der mutmasslichen geheimen CIA-Gefängnisse protestieren. Nur 20 Prozent sagten in der vom SonntagsBlick beim Institut Isopublic in Auftrag gegebenen Umfrage, der Bundesrat solle aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen der Schweiz auf einen solchen Protest verzichten.

Weiter fand es eine knappe relative Mehrheit von 49 Prozent gut, dass der als geheim klassifizierte Fax über die CIA-Gefängnisse im SonntagsBlick publiziert wurde, während 44 Prozent dies schlecht fanden. Zwei Drittel der Befragten sagten weiter, es sei falsch, dass der Bundesrat den Europarat-Sonderermittler Dick Marty nicht über den ägyptischen Fax informiert habe.

swissinfo und Agenturen

Die Veröffentlichung eines als geheim eingestuften abgefangenen ägyptischen Faxes über CIA-Gefängnisse in Europa wirbelte in der Schweiz Staub auf.

Politiker befürchten, dass die Schweiz künftig von andern Geheimdiensten geschnitten werden könnte.

Im Hinblick auf negative Konsequenzen für die Schweiz forderte die Aussenpolitische Kommission des Ständerates eine diplomatische Intervention der Regierung.

Gegen die Journalisten des SonntagsBlicks und gegen das Leck im Geheimdienst eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Untersuchung.

17. Juni 2004: Laut Human Rights Watch werden mutmassliche Terroristen von den USA in rund 15 geheimen Gefängnissen auf der Welt gefangen gehalten.

2. November 2005: Die Washington Post bestätigt, dass die CIA Al-Kaida-Mitglieder in acht Ländern in Osteuropa und Asien festhält.

7. November 2005: Der Schweizer Ständerat Dick Marty wird vom Europarat mit den Ermittlungen beauftragt.

8. Dezember 2005: US-Aussenministerin Condoleeza Rice schliesst ihren Europa-Besuch ab, ohne auf diesbezügliche Fragen eingegangen zu sein.

14. Dezember 2005: Das Parlament wünscht von der Regierung eine Stellungnahme wegen mutmasslicher CIA-Überflüge. Die Bundesanwaltschaft eröffnet ein Verfahren.

8. Januar 2006: Laut SonntagsBlick hat der Schweizer Geheimdienst einen ägyptischen Fax abgefangen, worin bestätigt wird, dass die CIA Verdächtige in Europa verhört.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft