Das Kiffen spaltet die Politik
Der Nationalrat hat sich geweigert, auf die Revision des Betäubungsmittel-Gesetzes einzutreten.
Die Gegner einer Cannabis-Legalisierung haben eine Schlacht gewonnen. Drogenfachleute sind konsterniert.
Nein, der Nationalrat will nichts von einer Lockerung des Betäubungsmittel-Gesetzes wissen. Nach einer emotionalen Debatte weigerte sich die Grosse Kammer mit 96 gegen 89 Stimmen, auf die Revision des Betäubungsmittel-Gesetzes einzutreten.
Seit der Ständerat (Kleine Kammer) vor zwei Jahren einstimmig Ja sagte zur Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums, hat der Nationalrat das Geschäft vor sich her geschoben. Nun wird sich das neue Parlament in der nächsten Legislatur-Periode mit der Gesetzes-Revision befassen müssen.
Heisse Kartoffel
Im Bundeshaus wird offen über ein wahltaktisches Verschieben des Geschäftes gesprochen. Niemand wolle sich so kurz vor den Wahlen die Finger verbrennen, heisst es in der Wandelhalle.
Die Legalisierung des Cannabis-Konsums und die Regulierung des Hanf-Anbaus sollte nach dem Willen der Mehrheit nicht zum Wahlkampfthema werden.
Mangel an politischem Mut
«Ich bin konsterniert über den Mangel an politischem Mut, der sich hier einmal mehr manifestiert», sagt Michel Graf, Direktor der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA), gegenüber swissinfo. Die SFA befürwortet die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums.
«Die Politikerinnen und Politiker vermischen moralische Werte mit den Interessen der öffentlichen Gesundheit.» Dies führe dazu, dass die Konsumierenden weiterhin als Kriminelle betrachtet und von Richtern abgeurteilt würden.
Komplexes Thema
Wahltaktische Überlegungen hätten beim Nichteintretens-Entscheid sicher eine Rolle gespielt. «Doch ist das Thema sehr komplex. Den Fachleuten ist es nicht gelungen, zu erklären, was die Liberalisierung genau bedeutet», räumt Graf ein.
Natürlich könne kein Politiker wollen, dass gekifft werde. «Doch legal oder illegal, ein bestimmter Bevölkerungsanteil kifft so oder so.» Für die SFA sei es wichtig, dass diese Personen begleitet und informiert würden, bevor ihr Konsum problematisch werde oder sie tatsächlich in die Kriminalität abglitten.
Verwirrung um Folgen des Konsums
Von den Gegnern einer Liberalisierung wurde immer wieder angeführt, dass sich in letzter Zeit die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den leichten Drogen geändert habe, und zwar zurück zu mehr Repression.
SFA-Direktor Graf führt diesen Stimmungswandel auf die allgemeine Verunsicherung zurück, die neue Studien um die Toxizität des Cannabis-Konsums ausgelöst hatten.
«Zudem haben die Medien in ihrer Berichterstattung jedem mehr oder weniger wissenschaftlichen Statement zu Cannabis breiten Raum eingeräumt.»
Ständig sei von den Folgen übermässigen Cannabis-Konsums gesprochen worden. Dabei habe man aber unterschlagen, dass es sich bei diesen Konsumenten um eine kleine Minderheit handle.
«Die Mehrheit des Konsums ist episodisch und die Konsumenten nehmen glücklicherweise keinen Schaden», sagt der Drogenexperte. Unbestritten sei aber, dass regelmässiger und andauernder Konsum gefährlich sei, und zwar unabhängig vom Alter der Konsumenten.
Aufschub bringt nichts
Die Prävention sowie die Sensibilisierung der Eltern und zuständigen Stellen bleibe die Hauptaufgabe der SFA. Wer meine, er könne Aufklärung leisten, indem er die Debatte aufschiebe, irre sich.
«Unabhängig vom geltenden Recht kann es von einem erzieherischen und präventiven Standpunkt her nur darum gehen, immer wieder zu betonen, dass der Cannabis-Konsum nicht wünschbar ist, und dass er so episodisch wie möglich bleiben muss.»
swissinfo, Anne Rubin & Christian Raaflaub
Stand der Cannabis-Legalisierung in der EU:
In Finnland, Frankreich, Griechenland, Schweden und Luxemburg ist der Konsum strafbar.
In den übrigen 10 EU-Ländern wird der private Konsum im Allgemeinen nicht bestraft.
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