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Das Schicksal der illegalen Putzfrau Mirta Palma

Kundgebung für die Legalisierung der "Sans Papiers" vom letzten April in Zürich. Keystone

Mirta Palma lebt seit 2002 ohne Aufenthaltspapiere in Lausanne. Ein Autounfall wirft jetzt ein Schlaglicht auf die prekäre Existenz der Putzfrau und ihrer Landsleute, die als sogenannte "Sans Papiers" in der Schweiz leben.

Am 26. Juni erfährt das bisher so diskrete Leben der 53-jährigen Putzfrau und Köchin Mirta Palma eine dramatische Wende.

Sie war beim Einkaufen in der Lausanner Innenstadt, als ein Autolenker die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und Palma sowie acht weitere Passanten über den Haufen fuhr.

Mirta Palma wurde mit mehrfachen Fuss- und Beinbrüchen ins Spital gebracht, wo sie dreimal operiert werden musste. Wenige Tage danach erhielt sie einen Brief ans Spitalbett. Darin teilte ihr die Waadtländer Kantonspolizei mit, dass sie die Schweiz bis am 15. September verlassen müsse.

Der tragische Unfall hatte die Behörden auf die Spur gebracht, dass die alleinstehende Frau ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz lebt, hier arbeitet und vom Einkommen ihre zwei Töchter in Ecuador unterstützt.

Gesetz ist Gesetz

Ihr Anwalt Jean-Michel Dolivo kritisierte das Vorgehen der Behörden gegenüber swissinfo.ch als «extrem schockierend und inakzeptabel». Es zeige die Herzlosigkeit der Behörden, wenn sie dem Schock nach dem Unfall noch die Drohung der Ausschaffung folgen liessen.

Henry Rothen von der kantonalen Einwohnerbehörde weist die Vorwürfe zurück. «Es ist in der Tat Pech, aber wer sich illegal im Land aufhält, verstösst gegen das Gesetz», sagte er in der Zeitung Le Matin.

Palma und Dolivo plädieren nun für einen Aufenthalt aus «humanitären Gründen», der für Härtefälle vorgesehen ist. Die erforderlichen Bedingungen dafür sind aber sehr streng.

Ein besseres Leben

Mirta Palma kam 2002 in die Schweiz. Sie gehört zu den rund 20’000 Landsleuten, die vor allem in den Kantonen Waadt, Zürich, Genf, Basel und Tessin leben, 80 bis 90% von ihnen als sogenannte Illegale.

«Die meisten kamen 2001 in die Schweiz. Im Jahr davor hatte Ecuador den Dollar als offizielle Währung eingeführt, was katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft hatte», sagt Byron Allauca. Der Koordinator der Lausanner Vereinigung der Ecuadorianer und der Freunde Ecuadors legalisierte seinen Status 2003, nachdem er elf Jahre als «Sans Papier» in der Schweiz gelebt hatte.

Doppelmoral

Freddy Enriquez (36) und seine Ehefrau Veronica (35) leben seit neun Jahren in der Schweiz. 2000 benötigten sie keine Einreisegenehmigung. Der gelernte Elektriker begann als Tellerwäscher, seine Frau putzte. Obwohl sie keine Papiere haben, haben ihre Arbeitgeber sie ordnungsgemäss angemeldet.

2002 ermutigte Freddys Chef die Familie zur Legalisierung ihres Status, aber Bern lehnte ab. Die Behörden zeigten eine Doppelmoral, sagten Freddy und Veronica Enriquez in der Zeitung Le Temps.

«Wir möchten die Genehmigungen bekommen, damit wir ein ruhiges Leben führen können, denn wir haben hier eine zweite Heimat gefunden», so Veronica Enriquez.

Auch Anwalt Jean-Michel Dolivo spricht von Heuchelei seitens der Verwaltung. «Die Behörden wissen, dass diese Menschen Arbeiten übernehmen, die Schweizer nicht machen, beispielsweise in den Bereichen Reinigung, Gastgewerbe oder Altenpflege.»

Dabei seien sie aber von der Sozialversicherung oder dem Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschlossen.

Und die Kinder?

Freddy und Veronica Enriquez sorgen sich auch um die Zukunft ihrer Kinder Daniel (10) und Roni (5), die beide die Schule besuchen.

Falls die Leistungen nicht für das Gymnasium reichen, wird ihre Ausbildung mit 16 beendet sein. Denn Bedingung für eine Berufslehre ist eine Niederlassungsbewilligung.

«Daniel möchte Arzt werden, aber wir versuchen, ihn von seinen Plänen abzubringen, weil er sicher nicht in der Schweiz wird studieren können», sagt die Mutter. «Aber wir werden hier bleiben, um ihm die Ausbildung finanzieren zu können.»

Lösung muss her

Laut Byron Allauca fehlt es den Behörden am politischen Willen, sich mit dem Problem der illegalen Immigranten auseinander zu setzen. Als einzige Lösung sieht er die pauschale Legalisierung.

«Arbeitgeber und Behörden haben auch eine Verantwortung. Sie haben diesen Menschen Arbeit gegeben und ihnen Beiträge für die Sozialversicherungen abgezogen. Deshalb müssen sie eine Lösung finden.»

Schlechte Aussichten

Philippe Leuba von der Waadtländer Kantonsregierung sieht dies anders. «Wir können diesen Schritt für die ‹Sans Papiers› nicht machen. Jeder und jede muss den Prozess individuell in die Wege leiten.»

Auch auf Bundesebene stehen die Chancen schlecht, denn Bern betreibt eine restriktive Einwanderungspolitik und lehnt Massenlegalisierungen ab.

Das Leben für die tausenden von Ecuadorianern und alle anderen illegal im Land lebenden Ausländer geht also weiter wie gehabt. Das heisst: Keine Aussicht auf einen besseren Job, keine Schulreisen für die Kinder, keine Telefonabonnemente. Und auch kein Führerausweis zum Autofahren.

Simon Bradley, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

1999 suchte die Rekordzahl von 48’000 Menschen in der Schweiz Asyl.

2004 strich die Regierung abgewiesenen Asylsuchenden den Anspruch auf Sozialhilfe – die Zahl der Gesuche sank auf 14’250.

2006 beantragten noch 10’500 Personen in der Schweiz Asyl. Aufgenommen wurden knapp 20%. Im selben Jahr stimmte die Schweizer Bevölkerung für eine weitere Verschärfung des Asylrechts.

Gemäss Regierung lebten damals 300’000 illegale Immigranten im Land, wovon nur 9000 Arbeit hatten. Andere wurden krimineller Aktivitäten verdächtigt.

Die Gesetzesverschärfung wurde von der UNO kritisiert. Das Bundesgericht erkärte ein Gesetz für ungültig, das die Ausweisung von Asylsuchenden ohne gültige Papiere innerhalb von 48 Stunden ermöglicht hätte.

2008 betrug die Zahl der Asylgesuche 16’606.

Ein Asylsuchender kann aus humanitären Gründen aufgenommen werden. Bedingungen dafür ist, dass er mindestens fünf Jahre hier gelebt hat, gut integriert ist und aus humanitären Gründen nicht in seine Heimat zurückkehren kann.

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