Das Schweizer Alinghi-Team ist Multikulti
Nicht einmal ein Fünftel der Alinghi-Mitarbeiter hat den Schweizer Pass. Sind die Verteidiger des America's Cup eigentlich wirklich ein Schweizer Team?
Für die Alinghi-Mitglieder stellt nicht die Staatsangehörigkeit, sondern Professionalität und Multikulturalität das Schweizer Markenzeichen im Team dar.
Als das Team Alinghi im Jahr 2003 den America’s Cup (AC) gewann, verfiel die Schweiz in einen wahren Segelrausch. Tausende von Zuschauern verfolgten in tiefer Nacht vor dem Fernseher die aus Auckland übertragenen Regatten zwischen dem Schweizer Herausforderer und dem Titelverteidiger-Team aus Neuseeland.
Nach der Eroberung des AC wurden Patron Ernesto Bertarelli und das ganze Team in Genf wie Helden gefeiert. Behördenvertreter und Fans überschlugen sich mit Komplimenten. Alinghi wurde über Nacht zum Schweizer Nationalstolz.
Wirklich Schweizer?
Doch die Schweizer Nationalität des Alinghi-Teams ist keineswegs so klar, wie es scheint. Zumindest, wenn man von der Zugehörigkeit zum Segelverein in Genf einmal absieht.
Die Schweiz ist weder Seefahrer- noch Segler-Nation; die Schweiz ist ein europäisches Binnenland ohne eigenen Zugang zum Meer. Zur Titelverteidigung 2007 muss Alinghi daher an die spanische Mittelmeerküste in Valencia «emigrieren».
Von mehr als 100 Mitarbeitenden bei Alinghi besitzen nur ein Fünftel den Schweizer Pass. Die anderen Personen kommen aus 18 verschiedenen Staaten. Jeder vierte ist Neuseeländer.
Kein Wunder, dass die nationale Komponente im Team nicht ausgeprägt ist. «Für mich ist die Herkunft aus einem bestimmten Land und das Segeln unter einer bestimmten Flagge nicht so wichtig», sagt der italienische Bugmann Francesco Rapetti gegenüber swissinfo.
«Ich möchte dem Schweizer Volk ein dickes Lob aussprechen: Es hat unsere Besonderheit immer verstanden.»
Schweizerische Multikulturalität
Obwohl sich auf Alinghi kein spezifischer Nationalgeist entfaltet, hat sich paradoxerweise eine Schweizer Eigenart entwickelt: Die Multikulturalität.
Keine andere Mannschaft vereinigt so viele Personen aus so unterschiedlichen Kulturen auf einem Boot. «Nur die Schweizer haben dank ihrer Erfahrung diese internen Verschiedenheiten bewältigt», meint Virginie Nivelleau, die als Software-Spezialistin die Leistungen der Rennboote untersucht.
Die französische Wissenschafterin weiss, wovon sie redet. In der Vergangenheit arbeitete sie bereits für andere Teams: «In der Regel waren nicht mehr als vier Nationalitäten vertreten, aber es gab nie dieselbe Harmonie wie bei Alinghi.»
Anderer Humor
Allerdings funktionierte auch bei Alinghi dieses Amalgam unterschiedlicher Kulturen nicht auf Anhieb. Virginie Nivelleau erinnert sich: «Als wir hier ankamen, erschienen uns die Schweizer sehr ernst, fast hochmütig. Doch dann merkten wir, dass sie einfach eine andere Art des Humors haben.»
Die anfänglichen Kommunikationsprobleme kehrten sich mit der Zeit in einen Vorteil um. «Um unsere interne Kommunikation zu verbessern, mussten wir am Anfang mehr als gewöhnlich diskutieren. Doch so lernten wir, leichter Informationen auszutauschen», bestätigt Rapetti.
Seriös und präzise
Die Verbindung zur Schweiz kommt aber noch in weiteren, wichtigen Bereichen zum Ausdruck. So stammen 70 Prozent der Sponsorenbeiträge aus der Schweiz.
Ausserdem profitiert Alinghi von der Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL). In einer geheimen Werkstatt von Nyon in der französischen Schweiz wird im übrigen die Rennyacht gebaut, mit der das Team Alinghi 2007 den Titel verteidigen will.
Schweizer Kultur äussert sich schliesslich auch in der Arbeitsweise und Disziplin. «Präzision und Pünktlichkeit gehören zu den Stärken von Alinghi», sagt Jean-Claude Monnin, ein junger Schweizer Informatiker, der im Sektor Design tätig ist.
Diese Meinung teilt Virginie Nivelleau: «Die anderen Mannschaften beneiden uns um unsere hohe Professionalität: Alles ist immer gut organisiert, perfekt und sauber. Wenn das nicht Schweizer Geist ist!»
swissinfo, Anna Passera, Valencia
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Der America’s Cup (AC) ist die bekannteste Segel-Regatta der Welt und eine der ältesten Sportveranstaltungen überhaupt.
Im AC treten zwei Yachten in mehreren Wettfahrten gegeneinander an. Der Cupverteidiger (defender) ist automatisch qualifiziert und bestimmt das Segelrevier. Der Herausforderer (challenger) wird durch den Louis Vuitton Cup ermittelt.
Erstmals wurde der AC 1851 in England ausgetragen. 132 Jahre lang gewann immer der New York Yacht Club (bis 1983).
2003 entriss das Schweizer Team Alinghi die berühmte Trophäe dem Verteidigerteam aus Neuseeland. Damit kam der AC-Gewinner erstmals aus Europa.
Der nächste Final findet 2007 im spanischen Valencia statt.
Alinghi segelt unter Schweizer Flagge (Segelverein Genf).
In Valencia (Spanien) arbeiten 107 Personen für Alinghi.
19 verschiedene Nationalitäten
26 Neuseeländer
17 Schweizer, davon 5 in der Bordcrew
Patron von Alinghi: Ernesto Bertarelli (Schweiz)
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