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Das Verdikt, das niemanden überrascht

Die Medien belagern den freigesprochenen Eric Honegger. Reuters

Die Freisprüche für alle Angeklagten im Swissair-Prozess haben kaum Überraschung ausgelöst, weder bei Politikern, Gewerkschaftern noch Experten.

Für Kritik oder gar Zorn sorgte, dass die Freigesprochenen vom Staat Entschädigungen von drei Millionen Franken erhalten.

Gesetz ist Gesetz: Wer in einem Prozess freigesprochen wird, hat Anrecht auf eine Entschädigung. Das gilt auch im Swissair-Prozess. Mit dem Geld können die Freigesprochenen also etwa die Rechnungen ihrer Anwälte bezahlen.

Dass der Staat diese Kosten im Fall eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens ersetzen muss, ist eine Konsequenz der Unschuldsvermutung. Denn nur mit dieser Partei- oder Prozesskostenentschädigung wird der Betroffene von den erhobenen Vorwürfen auch tatsächlich reingewaschen.

Doch was juristisch eindeutig ist, hinterlässt bei vielen unter moralischen Gesichtspunkten einen Nachgeschmack.

Auf Kosten der Steuerzahler

«Ich bin perplex», sagte FDP-Präsident Fulvio Pelli. Die Gewerkschaften ihrerseits sind erstaunt über die Höhe der Entschädigungen von insgesamt 3 Mio. Franken, die den 19 freigesprochenen ehemaligen Swissair-Verantwortlichen ausbezahlt werden.

Die SP nennt sie ein «Ärgernis», und Parteipräsident Hans-Jürg Fehr teilt das «Unverständis» vieler Leute. Für die SP darf es nicht sein, dass sich die Verantwortlichen des Untergangs der Schweizer Airline «aus den Prozessen auf Kosten der Steuerzahler bereichern».

PUK-Idee umstritten

Gar als Aufwärmrunde für die Zivilprozesse, bezeichnete der christlichdemokratische Urner Ständerat Hansruedi Stadler den Strafprozess. Stadler hatte als Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK) die Untersuchung geleitet.

Auf diese Karte setzen auch die Kleinaktionäre und die Gewerkschaften. Trotz der Freisprüche müssten der Verwaltungsrat und die Konzernleitung zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Frage der Moral sei in einem Strafprozess nicht messbar, sagte Urs Eicher, Präsident des Swiss Kabinenpersonalverbands (Kapers). Kein Verfahren und keine Diskussion könnten das Grounding rückgängig machen, sagte auch Christoph Ulrich, Geschäftsführer der Piloten-Gewerkschaft Aeropers.

Politische Aufarbeitung

Die SVP bezeichnete neben dem zivilrechtlichen Prozess die politische Aufarbeitung als vordringlich. Die Partei verlange deshalb eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK), sagte der Zürcher Nationalrat Hans Kaufmann.

Auch Nationalrat Daniel Vischer von den Grünen, der bei der Gewerkschaft VPOD für die Luftfahrt zuständig ist, fordert eine PUK.

CVP-Mann Stadler und Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) halten dagegen nichts von einer solchen PUK. Die Swissair sei ein privates Unternehmen gewesen. Nicht der Bund habe das Debakel verursacht, sagte Stadler.

Der freisinnige Nationalrat und Präsident des Wirtschafts-Dachverbands economiesuisse, Gerold Bührer, betonte, im Sinne der Gewaltentrennung habe die Politik die Urteile zu respektieren.

Webers Rücktritt gefordert

Auch die SVP des Kantons Zürich ist nach den Freisprüchen an die Öffentlichkeit getreten, indem sie den Rücktritt von Staatsanwalt Christian Weber forderte. Dieser sei verantwortlich für das «beispiellose Debakel».

Auch für Christian Van Buggenhout, den Liquidator der belgischen Airline Sabena, sind die Swissair-Freisprüche keine Überraschung. Er bezeichnete den gesamten Prozess als «Farce».

Es sei bei diesem «kleinen» Prozess nur um einen Teil der gesamten Verflechtungen eines internationalen Konzerns gegangen, betonte Van Buggenhout. Die Konten seien viel früher frisiert worden.

Schmidheiny spendet

Als erster der Freigesprochenen hat noch am Donnerstag Thomas Schmidheiny auf die Kritik reagiert. Er kündigte an, seine Prozessentschädigung von 194’000 Franken einer wohltätigen Organisation zu spenden.

swissinfo und Agenturen

Die Strafverfahren gegen die ehemaligen Swissair-Verantwortlichen sind kein Präjudiz für die kommenden Zivilverfahren.

Der Swissair-Sachwalter hat bereits drei solche zivilrechtlichen Verfahren gegen Ex-Swissair-Manager eingeleitet.

Karl Wüthrich fordert gesamthaft nicht weniger als 590 Mio. Franken zurück.

Im Zivilprozess muss im Gegensatz zum Strafprozess kein Tatvorsatz nachgewiesen werden. Es genügt, einen Zusammenhang zwischen dem Handeln der Verantwortlichen und dem Schaden der Swissair herzustellen.

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