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«Defizite bei Vorbereitung für G-8-Einsatz»

Der Basler Polizeidirektor Jörg Schild präsidiert die Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren aller Kantone. Keystone

Die Schweiz braucht keine Bundespolizei, um bei Gross-Anlässen wie dem G-8-Gipfel die Sicherheit zu garantieren. Und das Vermummungsverbot für die Demonstrierenden bringt nichts.

Diese Ansichten vertritt Jörg Schild, Polizeidirektor des Kantons Basel-Stadt, im Gespräch mit swissinfo.

Im Vorfeld des G-8-Gipfels, der auf der französischen Seite des Genfersees in Evian stattfindet, wird heftig debattiert: Dass die Schweiz auf deutsche Polizeikräfte zurückgreifen muss, um die Sicherheit gewähren zu können, sorgt für politische Diskussionen um den Föderalismus und dessen Grenzen.

Für Jörg Schild ist bei einem solchen Grossanlass, der praktisch eine ganze Region stilllegt, die Verhältnismässigkeit nicht mehr gegeben. Es habe Defizite bei der Vorbereitung auf den G-8-Gipfel gegeben, doch das föderalistische System sei nicht an seine Grenzen gestossen, erklärt Schild, der auch Präsident der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren ist.

swissinfo: Den Kantonen fehlt es offenbar an Sicherheitskräften, um einen derart grossen Anlass abdecken zu können. Zudem scheint es, dass die Vorbereitungen der Kantone Genf, Waadt und Wallis nicht eben optimal verliefen. Was ist ihre Meinung dazu?

Jörg Schild: Der G-8-Gipfel hat uns tatsächlich vor Augen geführt, dass wir in der Schweiz für den Fall von Grossanlässen bei den Polizeikräften eine Lücke haben. Die würde ich mit rund 1000 Mann beziffern. Diese Zahl war auch im Rahmen des – zurzeit brachliegenden – Projekts zur Überprüfung der inneren Sicherheit (USIS) genannt worden.

Im Rahmen von USIS hatten die Kantone vorgeschlagen, zur Aufstockung des Personalbestands eine Art Bereitschaftspolizei aufzubauen. Die Truppe hätte eine einheitliche Ausbildung und Einsatzdoktrin, sie würde dem Bund von den Kantonen gegen Entgelt zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel für einen Einsatz wie den G-8-Gipfel.

Und im Rahmen der Vorbereitung für den G-8-Einsatz lief wirklich nicht alles zum Besten, da gab es Defizite. Überrascht war man nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Kantonen, als Anfang Mai innerhalb eines Tages zuerst 500, dann gar 1500 zusätzliche Mann gefordert wurden.

Was für Möglichkeiten sähen Sie denn da?

J.S.: Wir brauchen keine neuen Institutionen oder Instrumente, die bestehenden müssen nur besser genutzt werden. Die Bündner haben mit dem WEF gezeigt, dass es geht. Natürlich haben sie einige Erfahrung – aber diese sollte im internationalen Genf eigentlich auch vorhanden sein.

Bevor man das ganze System kritisiert, sollte man die existierenden Koordinations-Instrumente auch richtig einsetzen.

Was sagen Sie jenen Leuten, die in den letzten Wochen aufgrund der Entwicklung im Vorfeld des G-8-Gipfels eine Bundespolizei fordern?

J.S.: Ich habe auch aufgrund meiner beruflichen Vergangenheit volles Verständnis für den Wunsch in Richtung eines Bundeskriminalamts, um etwa Strafuntersuchungen vermehrt auf Bundesebene zu führen.

Ebenso klar ist aber meine Meinung, dass auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, von der wir jetzt reden, eine Bundespolizei nicht der richtige Ansatz ist. Mal abgesehen davon, dass eine solche Truppe auch politisch weiterhin keine Chance hätte.

Wieviel Polizei braucht es eigentlich, um solche Gross-Anlässe wie den G-8-Gipfel abzusichern?

J.S.: Ich glaube, es wäre ein Fehler, jetzt alles an diesem G-8-Gipfel zu messen. Ein solches Ereignis, wage ich zu behaupten, trifft nicht einmal alle zehn Jahre mal ein. Aber ich glaube, der Gipfel hat uns eindrücklich bewiesen, wo wir den Hebel ansetzen müssen, um uns noch besser zu organisieren.

Verfassungsmässig und rechtlich gibt es am Einsatz der Deutschen nichts zu deuteln. Wir haben diese Verträge mit Nachbarstaaten ja auch, weil wir in andern internationalen Organisationen nicht mitmachen. Dennoch setze ich – wie schon früher – ein Fragezeichen hinter den Einsatz ausländischer Polizeikräfte in der Schweiz.

Erstens ist es eine Frage der Mentalität und der Einsatzdoktrin. Zweitens will ich zwar nicht von einer Bankrott-Erklärung sprechen, aber ich finde es politisch sehr schlecht, dass man ein halbes Jahr vor eidgenössischen Wahlen praktisch zugibt, dass bei solchen Ereignissen die Sicherheit im eigenen Land nicht mehr mit eigenen Kräften gewährleistet werden kann. Was für ein Signal dies aussendet, hätte man sich vielleicht vorher überlegen müssen.

Es wird in Frankreich und der Schweiz ein riesiges Aufgebot an Sicherheitskräften geben. Denken Sie nicht, dass das die Gefahr der Provokation in sich birgt?

J.S.: Nein. Die Polizei hat in erster Linie den Auftrag, die Sicherheit der Bewohner und Bewohnerinnen zu gewährleisten. Auch im Fall einer Demonstration. Ich glaube an das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, wer für seine Anliegen friedlich demonstriert, braucht nichts zu befürchten.

In einem Fall wie der Anti-G-8-Demonstration muss die Polizei mit Gewalttätern rechnen, die sich unter die Masse mischen, die auch grösser sein dürfte, als alles, was die Schweiz bisher je erlebte. Ich bin selber für eine Doktrin der Deeskalation. Wieweit dies im Fall G-8 durchführbar ist, bleibe dahingestellt. Und die Frage der Einsatzdoktrin ist letztlich Sache der Einsatzleitung, der Polizeioffiziere.

Denken Sie, dass das vom Kanton Genf verfügte Vermummungsverbot die Stimmung noch anheizen könnte?

J.S.: Wir haben in Basel auch ein Vermummungsverbot, und ich muss sagen, das ist etwas vom Unnützlichsten, dass es gibt.

In der Praxis kann es gar nicht umgesetzt werden, da sich Vermummte oftmals mitten in der Demonstration befinden. Will man diese herausholen, muss man sich durch eine Menge friedlich demonstrierender Menschen arbeiten, und so etwas heizt die Situation unnötig an.

Was kann ein Anlass wie der G-8-Gipfel einem Land noch bringen, wenn dafür im Gegenzug eine ganze Region praktisch stillgelegt werden muss, wenn man aus dem ganzen Land Sicherheitskräfte abziehen muss, um einige wenige Politiker zu schützen?

J.S.: Das einfachste wäre wohl, solche Treffen weit draussen auf dem Meer zu organisieren. Aber man muss natürlich aufpassen. Nur weil ein kleiner Prozentsatz von Chaoten bereit ist, Gewalt einzusetzen, darf man solche Treffen, bei denen es schliesslich um politische Fragen dieser Welt geht, nicht einfach nicht mehr durchführen.

Es ist eine Tatsache, dass solche Treffen nicht mehr ohne grosse Begleit-Manifestationen über die Bühne gehen. Daher wäre es angebracht, die Austragungsorte in Zukunft etwas gezielter auszusuchen.

Das ist übrigens kein Votum gegen das WEF. Ich bin überzeugt, dass man dort den Weg zum Dialog nun langsam gefunden hat. Aber für einen G-8-Gipfel sollte man sich wirklich andere Austragungsorte überlegen. Da ist in meinen Augen die Verhältnismässigkeit nicht mehr gegeben.

Was hätten sie von einem Demo-Verbot gehalten?

Wenn, dann hätte man sich das viel früher überlegen müssen. Am Recht, zu demonstrieren, gibt es nichts zu rütteln. Man kannte aber die Gefahr möglicher Gewalt seit Beginn der Organisation des Gipfels. Jetzt, so kurz vor dem Anlass ein Verbot zu erlassen, das würde die Stimmung ganz sicher zusätzlich anheizen.

Welche Lehren muss die Schweiz aus dem G-8-Gipfel ziehen?

«Frisch von der Leber weg» gesagt: Organisatorisch und was die Vorbereitungen generell angeht, braucht es sicher eine fundierte Auswertung, um für die Zukunft die richtigen Lehren zu ziehen.

Und wenn wir etwas lernen, dann hatte das Ganze ja auch etwas Positives.

Ihr Wunsch für das Demonstrations-Wochenende?

Ich wünsche mir einen Tag ohne Gewalt. Ich habe kein Verständnis dafür, dass es nicht möglich sein soll, friedlich gegen etwas zu demonstrieren, denn das Recht steht uns allen zu.

swissinfo-Interview, Rita Emch

Der 57jährige Jörg Schild ist freisinniger Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, er ist Vorsteher des kantonalen Polizei- und Militärdepartementes und zur Zeit Regierungs-Vizepräsident.

Schild präsidiert die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren.

Der Jurist war 1989-1992 Chef der Zentraldienste der Bundesanwaltschaft in Bern.

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