Der Bundesrat als Freund der Konsumenten
Der Hochpreis-Insel Schweiz soll es endlich an den Kragen gehen: Die Landesregierung will billigere Importe aus der Europäischen Union erleichtern.
Entspricht ein Produkte aus der EU den dortigen Bestimmungen, darf es in Zukunft generell auch in der Schweiz verkauft werden.
1979 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Produkte, die in einem EU-Land gemäss den dortigen Bestimmungen hergestellt werden, im ganzen Raum der EU verkauft werden dürfen. Gemäss dem Produkt, einem französischen Likör, ging der wegweisende Entscheid als Cassis-de-Dijon-Prinzip in die Handelsgeschichte ein.
Am Mittwoch hat nun der Bundesrat dieses Prinzip anerkannt. Der Entscheid, das sogenannte Cassis-de-Dijon-Prinzip anzuwenden, werde zu mehr Importkonkurrenz führen und damit das Wachstum fördern, sagte Aymo Brunetti, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), am Mittwoch vor den Medien in Bern. Bei den Lebensmitteln liegt das Niveau rund 20% über demjenigen Deutschlands.
Freizügigkeit der Waren
Das Cassis-Prinzip geht konkret auf einen Streit über die Vermarktung des französischen Likörs in Deutschland zurück. Heute gilt, dass aus einem anderen Mitgliedstaat importierte Produkte, die nach den Vorschriften des Exportlandes hergestellt wurden, grundsätzlich überall in der EU in Verkehr gesetzt werden dürfen.
Beschränkungen sind nur zulässig, soweit sie aus übergeordneten öffentlichen Interessen – etwa Schutz der Gesundheit oder der Umwelt – zwingend erforderlich sind.
Die bisherige Strategie des Bundesrates zielte darauf ab, die Handelshemmnisse durch eine Harmonisierung der Produktevorschriften abzubauen und den Zugang von Schweizer Produkten zum EU-Markt vertraglich abzusichern. Im Interesse der Exportwirtschaft will der Bundesrat auch in Zukunft Lösungen auf Gegenseitigkeit anstreben.
Lebensmittel, aber nicht Medikamente
Wo dies nicht möglich ist, sollen Produkte, die in der EU frei zirkulieren, auch in der Schweiz importiert werden dürfen. Dies gilt für all jene Produkte, für die es keine harmonisierten Vorschriften gibt. Dies würde etwa Lebensmittel und Bauprodukte betreffen, nicht aber patentgeschützte Medikamente, wie Brunetti sagte.
Der Bundesrat ist bereit, eine Motion von Ständerat Hans Hess (FDP/OW) zur Umsetzung des Cassis-Prinzips zu erfüllen. Das seco wird nun eine Vernehmlassungsvorlage zur Revision des THG ausarbeiten.
EU-Kommissar begrüsst Bundesratsentscheid
Der EU-Kommissar für Binnenmarkt, Charlie McCreevy, begrüsst den Entscheid des Bundesrates sehr, wie seine Sprecherin in Brüssel sagte. Es werde eine «Win-Win-Situation» für Schweizer Unternehmen wie auch für Unternehmen der EU geschaffen.
Auch in der Schweiz wird die Absichtserklärung des Bundesrats grundsätzlich begrüsst. Preisüberwacher Rudolf Strahm geht indes ebenso wie die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) davon aus, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis es soweit ist. «Der Teufel liegt im Detail», sagte Strahm.
Warnung vor Gefahren für Konsumenten
Die Konsumentenorganisation der Westschweiz Fédération romande des consommateurs (FRC) unterstützt ebenfalls den vom Bundesrat eingeschlagenen Weg, warnt aber gleichzeitig vor möglichen Gefahren.
«Natürlich unterstützen wir sämtliche Bemühungen zur Senkung der Preise und Steigerung des Wettbewerbs in der Schweiz. Dies aber nur, wenn die Produkte keine Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen,» schränkt FRC-Ökonomin Nadja Thiongane gegenüber swissinfo ein.
Auch der Wirtschaftsdachverband economiesuisse sieht Probleme eher bei den Ausnahmen, so etwa bei fetthaltigen Lebensmitteln, der Deklaration von Handy-Strahlung oder bei der Preisbeschriftung.
Ansonsten erlaubten bereits die bestehenden Gesetze den Import von EU-Produkten. Dort sei der Grundsatz der Anerkennung gleichwertiger ausländischer Vorschriften bereits festgehalten. Es gelte, diese Möglichkeiten offensiver und konstruktiver zu nutzen.
Auch die Bio-Bauernorganisation Bio Suisse hat grundsätzlich nichts gegen die Einführung des Cassis-Prinzips. Sie verlangt aber spezielle Garantien für sensible Güter wie Milch und Fleisch.
swissinfo und Agenturen
Das Cassis-de-Dijon-Prinzip besagt, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat der EU legal hergestellt worden sind, auch in allen andern EU-Staaten verkauft werden dürfen.
Das Einfuhrland kann von dieser Regel nur abweichen, indem es zwingende Erfordernisse von Allgemein-Interesse geltend macht.
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