Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Der Fiskus drängt reiche Franzosen in die Schweiz

Keystone

In Frankreich wird es eng für jene Franzosen, die ihr Vermögen auf Schweizer Bankkonten platziert haben. Um sich den Steuerfahndern in ihrer Heimat zu entziehen, erwägen immer mehr Franzosen, sich in der Schweiz niederzulassen.

Während Bundespräsident und Finanzminister Hans-Rudolf Merz und seine französische Amtskollegin Christine Lagarde in Bern ein revidiertes Doppelbesteuerungs-Abkommen unterzeichneten, kümmerten sich einige Rechtsanwälte in der Westschweiz bereits um jene Unterlagen, die ihre vermögende Kundschaft aus Frankreich benötigt, um sich in der Schweiz niederzulassen.

Das Abkommen zwischen Bern und Paris, das am 12. Juni paraphiert und nun von den Ministern offiziell unterzeichnet wurde, dürfte es den französischen Steuerbehörden ermöglichen, von der Schweiz Auskunft über tausende von Konten französischer Staatsangehöriger zu verlangen, vermuten gewisse Fachleute.

Obwohl der Text des Abkommens Ermittlungen ins Blaue hinaus, sogenannte «fishing expeditions», ausschliesst, vertrauen viele französische Inhaber von Schweizer Bankkonten nicht darauf.

Vorzeitiger Ruhestand in der Schweiz

«Seit geraumer Zeit kursiert in Kreisen vermögender Franzosen die Empfehlung, es sei besser, sich gleich in der Schweiz niederzulassen, als dem französischen Fiskus ins Netz zu gehen», sagt ein französisch-schweizerischer Rechtsanwalt gegenüber swissinfo.ch.

Anders als wohlhabende Italiener, die eine Überweisung ihrer Vermögen in die Heimat erwägen, um von der grosszügigen Steueramnestie auf der Halbinsel zu profitieren, denken ihre französischen Schicksalsgenossen eher daran, Frankreich zu verlassen.

Tatsächlich wählt eine wachsende Zahl französischer Staatsangehöriger den Weg ins Schweizer Exil, bestätigt der Genfer Rechtsanwalt Dominique Warluzel gegenüber swissinfo.ch.

«Ja, solche Fälle tauchen immer häufiger auf», sagt der Rechtsanwalt und Freund vieler prominenter Franzosen. Die Tendenz zeige sich nicht nur unter den Leuten aus dem Showbusiness.

«Meistens handelt es sich um Personen, die ihre berufliche Karriere hinter sich haben und ihren Aktivitäten nun zehn Jahre früher ein Ende setzen wollen, um von einer angemessenen und regulären Steuersituation zu profitieren», sagt der Jurist.

Frostiges Klima

Die Direktion der kantonalen Einwohnerkontrolle des Kantons Genf kann vorerst nur eine «leichte Zunahme der französischen Staatsangehörigen» feststellen, nämlich 966 mehr als im Jahr 2008.

Diese Tendenz wird auch von mehreren Gemeinden der Genfersee-Region bestätigt. Aber eine wachsende Zahl von Neuankömmlingen könnte sich in den nächsten Monaten auch in der Statitik zeigen, vermuten die Behörden.

Auf finanzieller Ebene lässt sich die französische Kundschaft zwar nicht quantifizieren. Aber «es handelt sich um einen beachtlichen Markt», sagte der Genfer Rechtsanwalt Carlo Lombardini im Westschweizer Fernsehen TSR.

«Obwohl diese Kunden bereits ausgezeichnete Steuerzahler sind, geniessen sie wenig Sympathie», beklagt sich Warluzel. Schon vorher hätten sie in Frankreich viele Animositäten zu spüren bekommen, aber jetzt sei das Klima noch kälter geworden.

«Sie hatten schon vorher Angst, aber nun schleichen sie nicht mehr den Mauern entlang, sondern verstecken sich unter dem Erdboden», sagt der Wirtschaftsanwalt über die französischen Steuerzahler.

Rezept: Eine Pauschalsteuer

Diese Stellungnahmen ertönen wie ein Echo auf jene von Nicolas Sarkozy von Anfang Woche. Der französische Staatspräsident sagte vor den Medien, «angesichts der sehr schmerzhaften Wirtschaftskrise sollten sich die Leute bewusst werden, dass auf die Frage der Gerechtigkeit und Gleichheit geachtet wird».

Für Dominique Warluzel wären Pauschalsteuern die ideale Lösung für wohlhabende Franzosen, «weil die Niederlassung zur einzigen steuerlichen Legitimationsart wird, und weil die Tatsache, ein Schweizer Steuerzahler mit Pauschalsteuer zu werden, sie von jeder Steuererklärung in Frankreich und in der Schweiz entbindet».

Und der Anwalt betont: «Damit brauchen sie den Franzosen keine Konten mehr anzugeben, vorausgesetzt sie haben Frankreich verlassen.»

Nicole della Pietra, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Das revidierte DBA mit Frankreich wurde am Donnerstag in Bern von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz und der französischen Finanzministerin Christine Lagarde unterzeichnet.

Nach Dänemark und Luxemburg ist Frankreich das dritte Land, mit dem die Schweiz ein angepasstes DBA unterzeichnet hat.

Allerdings herrscht im Abkommen mit Frankreich eine Unklarheit: Laut Lagarde könnte Paris in einigen Fällen Abklärungen über einen französischen Bankkunden in der Schweiz verlangen, ohne den Namen der Bank nennen zu müssen, falls dieser nicht bekannt sei – was das Bankgeheimnis weiter aushöhlen würde.

Die Schweiz war von der G20 unter Druck und auf eine graue Liste gesetzt worden. Im März erklärte sie sich bereit, die DBA neu zu verhandeln, um den OECD-Standard einzuhalten.

Artikel 26 der OECD sieht im Fall von vermutetem Steuerbetrug Amtshilfe vor.

Insgesamt muss die Schweiz zwölf DBA dieser Art paraphieren, die eine erweiterte Amtshilfe vorsehen, um von der grauen Liste der Steuerparadiese gestrichen zu werden.

Die nächsten DBA werden mit Norwegen, Grossbritannien und Mexiko formell unterzeichnet.

138’349 Französinnen und Franzosen waren 2008 bei den Konsulaten in der Schweiz registriert, davon waren 57% Doppelbürger.

Laut Schätzungen leben rund 160’000 Personen mit französischer Nationalität in der Schweiz.

Im Normalfall bleiben Französinnen und Franzosen für längere Zeit im Land: 77% sind seit mindestens 5 Jahren auf den Konsulaten gemeldet.

Die französische Gemeinde unterhält enge Bande zum Herkunftsland.

Fast 87% der Arbeitnehmenden sind im Dienstleistungs-Sektor beschäftigt.

Die Öffnung des Arbeitsmarkts für Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union durch die Bilateralen Abkommen vereinfachte vielen die Niederlassung.

Zudem haben einige reiche und berühmte Franzosen die Schweiz als Steuerexil ausgewählt, darunter zahlreiche Schauspieler und Sänger wie Alain Delon, Charles Aznavour und Johnny Halliday oder Sportler wie Jo-Wilfried Tsonga, Amélie Mauresmo, Arnaud Boetsch und Fabrice Santoro.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft