Der lange Weg zum Aids-Impfstoff
Dank neuer Medikamente hat die Angst vor Aids nachgelassen. Doch es fehlt immer noch ein Impfstoff, um die rasche Ausbreitung der Krankheit in Entwicklungsländern zu stoppen.
Wie ist der heutige Stand der Forschung? Professor Giuseppe Pantaleo vom Universitätsspital Lausanne im Gespräch mit swissinfo.
Pest, Tollwut, Pocken, Angst vor Ansteckung, Jagd auf Quacksalber: Jede Epoche hat mit dramatischen Krankheiten und ihrer jeweiligen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu tun. Kaum hat man ein Übel aus der Welt geschafft, taucht ein neues auf. Pocken jagen heute niemanden mehr Angst ein.
Dafür gibt es Krankheiten wie Krebs, Ebola oder Malaria. Und natürlich Aids – die tödliche Immunschwäche, die durch das HIV-Virus erzeugt wird.
An der Spitze dabei
Weltweit wird fieberhaft nach einem Impfstoff gesucht, um Aids zu bekämpfen. Zu den führenden Forschern in diesem Bereich gehört Professor Giuseppe Pantaleo, Direktor des Instituts für Immunpathologie in Lausanne, das eng mit dem europäischen Konsortium EuroVac zusammenarbeitet.
In den vergangenen Monaten wurde in London und Lausanne erstmals freiwilligen Probanten ein neuer Impfstoff injiziert. Dieser beinhaltet nicht den eigentlichen HIV-Virus, sondern einen analogen Wirkstoff, der im Labor hergestellt wurde, sich aber nicht selbst reproduzieren kann.
swissinfo: Professor Pantaleo, in jüngster Zeit gibt es ständig Meldungen von neuen Medikamenten, neuen Behandlungsmethoden und neuen Impfstoffen gegen Aids. Schafft dies nicht falsche Hoffnungen in Bezug auf die Bekämpfung der Krankheit?
G.P.: Man muss klar sehen: Ein Impfstoff ist noch lange nicht in Sicht. Dessen Entwicklung wird noch Jahre dauern. Wir wissen nicht, wie wir Antikörper induzieren können, die den Eintritt von HIV-Viren abwehren. Wir arbeiten daher an Impfstoffen, die einen Abwehrmechanismus der Zellen stimulieren. Anders gesagt: Der Impfstoff sollte einige Zellen wie die Lymphozyten-T dazu veranlassen, HIV-infizierte Zellen ganz zu eliminieren oder wenigstens ihre Ausbreitung zu kontrollieren. Wer angesteckt wurde und geimpft ist, sollte es schafften, die Reproduktion der Viren und damit die Infektion unter Kontrolle zu bekommen.
Erfolge ja, in Therapie
In Bezug auf die Therapien muss gesagt werden, dass die Meldungen nicht falsch sind. Die neuen Therapien haben den klinischen Verlauf der Krankheit in der Tat tiefgreifend verändert. Aids war früher eine Krankheit, die in Kürze zum Tod führte. Heute handelt es sich um eine chronische Krankheit. Vom Zeitpunkt der Infektion bis zum Tod können 15 bis 20 Jahre vergehen, vielleicht sogar mehr. Die therapeutischen Erfolge sind ernorm.
Die Informationen und Nachrichten sind somit nicht falsch. Das Problem ist eher, dass der Erfolg der Therapiemethoden zu einer höheren Risikobereitschaft geführt hat. Vor einigen Jahren, als es keine Medikamente gab und die Aids-Kranken schnell starben, gab es ein wesentlich ausgeprägteres Präventivverhalten zur Vermeidung einer Ansteckung.
Erlahmte Prävention wieder ankurbeln
Seit zwei oder drei Jahren merken wir hingegen, dass es wieder eine Zunahme an Fällen gibt. Man müsste unbedingt wieder aggressive Präventionskampagnen lancieren. In den letzten Jahren wurde dies versäumt.
swissinfo: Nicht nur bei Aids, sondern auch bei Syphilis gibt es wieder eine Zunahme an Fällen. Warum funktioniert die Prävention nicht?
G.P. Im Kopf der Leute hat sich die Gewissheit festgesetzt, dass es effiziente therapeutische Methoden gibt. In den 80-er Jahren sahen die Risikogruppen ihre Freunde oder Angehörigen sterben. Seit sechs oder sieben Jahren ist dies nicht mehr der Fall. Gesellschaftlich wird Aids nicht mehr als so bedrohend und dramatisch angesehen.
Aids-Kranke mussten früher ihre Infektion absolut geheim halten, um nicht diskriminiert zu werden. Heute gibt es eine „Normalisierung“ in Bezug auf Aids. Die Krankheit unterscheidet sich gar nicht mehr sehr von anderen viralen Infektionen wie Hepatitis B oder C.
swissinfo: Dies mag für unsere westliche Gesellschaft stimmen, aber nicht für Afrika oder Asien, wo es überhaupt kein Geld für Medikamente und Therapien gibt.
G.P. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich behaupte sogar, dass das Problem Aids in den westlichen Ländern fast nicht mehr existiert beziehungsweise sehr gut kontrolliert ist. In Entwicklungsländern ist das Gegenteil der Fall. Dort hat der Anteil HIV-positiver Menschen zum Teil bis 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung erreicht, betroffen sind vor allem junge Leute.
swissinfo: Sie behaupten, dass Aids aus medizinischer Sicht eine Krankheit wie viele andere ist, weil es entsprechende Behandlungsmethoden gibt. Aber es bleibt das Problem von Nebenwirkungen und Behandlungskosten.
G.P. Die Anti-Aids-Medikamente sind sehr wirkungsvoll. Aber es ist klar, dass eine HIV-infizierte Person eine jahrelange Therapie nicht einfach so wegsteckt. Im Prinzip hat aber jedes Medikament Nebenwirkungen. Diese können gravierend oder weniger gravierend sein, aber es ist kaum möglich, dass es bei Wechselwirkungen mit einem Teil des Organismus nicht zu Dysfunktionen kommt.
Gewinnorientierte Unternehmen
Zu den Kosten musst gesagt werden, dass die Pharmakonzerne gewinnorientierte Privatfirmen sind. Man kann von solchen Unternehmen nicht verlangen, dass sie den wirtschaftlichen Nutzen ausblenden. Natürlich kosten die Therapien viel Geld, aber es ist ebenfalls wahr, dass die Entwicklung eines Medikaments – vom Labor über die Produktion bis zum Vertrieb – 200 Millionen Dollar kosten kann.
Wenn sich das Medikament bewährt, können diese Ausgaben in wenigen Jahren wieder reingespielt werden. Doch das Problem liegt am Beginn der Recherche. Da werden Investitionen ohne die Sicherheit gemacht, später Gewinne erzielen zu können.
Interview swissinfo, Doris Lucini, Lausanne
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Ende 2002 waren mehr als 42 Millionen Menschen weltweit Träger des IV-Virus.
Zwei Drittel der Infizierten lebt südlich der Sahara in Afrika.
90 Prozent der Erkrankten leben in Entwicklungsländern.
2002 gab es 3,1 Millionen Aids-Tote.
In Afrika/Asien haben nur 5 Prozent der Aids-Erkrankten Zugang zu Medikamenten (Quelle UNO).
In der Schweiz ist 2002 die Zahl der Neuinfektionen gegenüber 2001 um 25,5 Prozent angestiegen.
792 Aids-Fälle sind in der Schweiz gemeldet.
Giuseppe Pantaleo, Jahrgang 1956, liegt die Immunologie gewissermassen im Blut – als Sohn eines Professors für Pathologie an der Universität Bari.
Nach dem Studien-Abschluss kam er 1982 zum ersten Mal nach Lausanne, wo er fünf Jahre am Ludwig Institute for Cancer Research forschte.
Er wechselte 1987 in die USA, aus denen er nach fünf Jahren wieder nach Europa zurückkehrte.
Pantaleo ist heute Professor am Universitätsspital des Kantons Waadt in Lausanne (CHUV). Er leitet die Abteilung für Immunologie und Allergologie sowie das Aids-Labor.
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