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Der Mann mit mafiösen Eigenschaften vor Gericht

Francesco Moretti (vo.) Anfang Mai 2003 beim Erscheinen vor Gericht. (Bild: TI-Presse SA) swissinfo.ch

Seit Montag steht in Lugano der Anwalt Francesco Moretti vor Gericht. Laut Anklage hat er in grossem Stil Geld gewaschen - die Spuren führen vom Tessin direkt zur italienischen Mafia.

Es handelt sich um einen der grössten Geldwäscherei-Prozesse in der Schweizer Justizgeschichte.

Die Finanzdelikte belaufen sich laut Anklage auf 63 Millionen Franken. Der 62-jährige Moretti war am Rande der Affäre Ticinogate verhaftet worden.

Seit gut 33 Monaten sitzt Moretti in Lugano in Untersuchungshaft. Seine Festnahme war am 24. August 2000 erfolgt, als er aus den Ferien in Mexiko ins Tessin zurückkehrte.

Verbindung mit Ticinogate

Damals erschütterte gerade die Betrugsaffäre um Richter Franco Verda und Zigarettenschmuggler Gerardo Cuomo die Schweiz.

Ein Seitenast der Ticinogate-Ermittlung führte zu dem aus Kalabrien stammenden und in der Schweiz eingebürgerten Anwalt.

Dieser hatte sich im Tessin unter anderem auch gern um Aufenthaltsbewilligungen für halbseidene Gestalten aus Italien bemüht – darunter Cuomo. Bei potentiellen Klienten warb Moretti mit «guten Kontakten in die Verwaltung».

Kontakte zu Mafia-Familien



In der vom Tessiner Generalstaatsanwalt Bruno Balestra vertretenen Anklage muss sich Moretti wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation verantworten – es ist der erste Fall dieser Art für das Tessin.

Der Ex-Anwalt mit Kanzlei in Lugano soll für Familien der drei klassischen Mafia-Clans Süditaliens gearbeitet haben: für die Familie Francesco Sergi der kalabresischen `ndrangheta, für einige Familien der sizilianischen Cosa Nostra um Alfonso Caruana sowie für die Familie des neapolitanischen Camorra-Aktivisten Oreste Pagano.

Kokain aus Südamerika



Neben der Beteiligung an einer kriminellen Organisation wird Moretti schwerer Verstoss gegen das Eidgenössische Betäubungsmittel-Gesetz, wiederholte Geldwäscherei als schwerer Fall sowie wiederholter Betrug zur Last gelegt. Er soll flüchtige oder inzwischen inhaftierte Mafiosi bei Finanzoperationen beraten haben.

Eine zentrale Rolle spielte Moretti laut Anklage bei der Finanzierung eines Handels von 8 Tonnen Kokain aus Südamerika, der auf das Jahr 1993 zurück reicht. Der Vorwurf der Geldwäscherei wird in diesem Zusammenhang für einen Betrag von 19 Mio. Franken erhoben. Dazu kommen weitere 44 Mio. Franken für andere dubiose Finanzdienste.

Die Ermittler gehen davon aus, dass 12 Mio. Franken Bargeld, die in Morettis Kanzlei im Zentrum von Lugano nach dessen Verhaftung gefunden wurden, zu diesem Paket gehören.

Die Operationen soll Moretti teilweise gemeinsam mit dem italienischen Geschäftsmann Giovanni Pozzi durchgeführt haben, der gegenwärtig in Varese vor Gericht steht.

Vor Gericht nichts gesagt



Pozzi soll jede Woche rund 400’000 Franken in Autos mit doppeltem Boden über die Grenze gebracht haben. In der Schweiz wurde das Geld teilweise in US-Dollars gewechselt und an Mafiosi in Lateinamerika weitergeleitet. Der Geldwechsel soll konkret im Tessin über Vittorio Gregis erfolgt sein, gegen den die Anti-Mafia-Behörden von Bari (Italien) ermitteln.

Vor wenigen Wochen, Anfang Mai, sind die drei Hauptakteure dieser Aktivitäten in Bellinzona kurzzeitig vor Gericht erschienen. Das Gericht aus Varese, das den Prozess gegen Pozzi führt, war zur Einvernahme von Moretti und Gregis für einen Tag in die Tessiner Kantonshauptstadt gereist. Doch beide machten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und blieben stumm.

Aus den Aussagen einer Sekretärin liess sich jedoch ableiten, dass Moretti und Pozzi zur Tarnung der Geldwäscherei zahlreiche Scheinfirmen gründeten, beispielsweise für den Vertrieb von Velohelmen. Verschoben wurde die Ware unter anderem nach New York.

Trotz Vorstrafen gute Kontakte



Moretti war bereits 1981 zu 18 Monaten bedingt verurteilt worden, weil er zur Amtsgeheimnis-Verletzung angestiftet hatte. Zwei Jahre lang musste er sein Anwaltspatent abgeben. In Italien war er 1986 wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt worden.

Trotz dieser Vorstrafen konnte Moretti auf gute Kontakte in Tessiner Justizkreisen setzen. Dem ehemaligen Präsidenten des Appellationsgerichts, Bruno Cocchi, in dessen Kanzlei er einst sein Anwalts-Praktikum absolviert hatte, liess er zu Weihnachten immer Geschenke zukommen.

Als die Sache aufflog, wurde Cocchi vom Justizrat, einem Aufsichtsorgan, Ende 2001 zu einer Geldbusse von 3000 Franken verknurrt. Ein Chefbeamter des Konkursamtes in Lugano half Moretti beim «Geldwechseln» und erhielt dafür Kommissionen.

Der Prozess gegen Moretti wird voraussichtlich zwei Wochen dauern. Den Vorsitz führt Gerichtspräsidentin Agnese Balestra-Bianchi.

swissinfo, Gerhard Lob, Lugano

Seit Montag steht in Lugano Francesco Moretti vor Gericht. Der ehemalige Anwalt mit einer Kanzlei in Lugano, der im August 2000 am Rande des Korruptionsskandals Ticinogate verhaftet worden war, muss sich für happige Vorwürfe verantworten.

Laut Anklage hat er illegale Finanztransaktionen für einflussreiche Mafia-Familien aus Neapel, Kalabrien und Sizilien erledigt. Es geht um insgesamt 63 Mio. Franken, wovon laut Anklage aber nur 19 Mio. Franken unter das Geldwäscherei-Gesetz fallen.

Angeklagter: Francesco Moretti
Beruf: Anwalt
Wohnort: Vacallo bei Chiasso
Geboren: 1.Oktober 1940 in Reggio Calabria (Italien)
Mutmassliche Delikte: Beteiligung an krimineller Organisation, schwerer Verstoss gegen das Betäubungsmittel-Gesetz, wiederholte Geldwäsche als schwerer Fall sowie wiederholter Betrug
Prozess vor dem Kriminalgericht von Lugano: ab 2.Juni
Vorgesehene Prozessdauer: 2 Wochen

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