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Der Tod von Corinne Rey-Bellet bleibt unaufgeklärt

Die Särge von Corinne und Alain Rey-Bellet in der Kirche von Val d'Illiez. Keystone

Der Ehemann und mutmassliche Mörder der früheren Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet ist am Mittwoch tot aufgefunden worden. Die Gründe für die Tragödie sind nach wie vor unklar.

Laut einer neuen Studie machen Tötungen innerhalb der Familie mehr als die Hälfte der Tötungsdelikte in der Schweiz aus. Die Mörder sind meistens Männer.

Auch nachdem der Ehemann von Corinne Rey-Bellet, Gerold Stadler, tot aufgefunden wurde, bleiben viele Fragen offen. Nach der Tragödie machten zahlreiche Theorien über die Gründe des Verbrechens die Runde.

Experten, die verzweifelt nach Antworten suchten, wiesen auf zerfallende soziale Netzwerke und sich wandelnde Familienstrukturen in der traditionell männlich dominierten Gesellschaft der Schweiz hin.

Laut der Kriminologin Eva Wyss ist es jedoch noch zu früh für Erklärungen. Dieses Jahr gab es bereits sechs Fälle, in denen ein Mann seine Frau oder Partnerin erschoss und die Waffe anschliessend gegen sich selbst wandte.

«Tötungsdelikte innerhalb der Familie haben in den letzten zwei oder drei Jahren zugenommen, aber man muss die unterschiedlichen individuellen Umstände mit berücksichtigen. Und von daher ist es noch zu früh, Schlüsse zu ziehen», sagte sie gegenüber swissinfo.

«Es könnte auch Zufall sein, dass es in den letzten Jahren eine Häufung gegeben hat. Die Beobachtungszeit für eine solche Entwicklung müsste mindestens zehn Jahre betragen.»

«In Familien herrschen grosse Spannungen»

Eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), die Mordfälle in den Kantonen Waadt, Freiburg, Wallis und Neuenburg seit 1980 untersuchte, kam zum Schluss, dass Tötungen in der Familie 58% aller Tötungsdelikte ausmachen. Diese Zahl ist wesentlich höher als beispielsweise in den Niederlanden (29%) und den USA (20%).

Philip Jaffé, Psychologieprofessor an der Universität Genf, warnt vor Vergleichen mit den USA, wo verhältnismässig mehr Morde ausserhalb der Familie vorkommen. «Morde passieren in Familien, weil dort gewöhnlich grosse Spannungen herrschen, und das ist überall so», sagte er.

Jaffé unterscheidet zwei Formen von Tötungen in der Familie: Erstens, wenn ein dauernd gewalttätiger Ehemann einmal zu weit geht; zweitens, wenn «ein einzelnes Ereignis von grosser Intensität», wie etwa eine Trennung, einen Mann ausrasten lässt. Laut der SNF-Studie sind für 84% der innerfamiliären Tötungen Männer verantwortlich.

Das männliche Rollenbild erfährt eine «Revolution»

Jaffé glaubt wie viele Experten, dass der soziale Zerfall und Geschlechterthemen eine Rolle spielen. Die Schweiz erfahre eine «Revolution» bezüglich Wandlung des männlichen Rollenbildes.

«Die Frauen sind heute eher gleichberechtigt und entscheiden oft selbst, wann sie eine Beziehung oder Ehe beenden», sagt er. «Früher hatten die Männer mehr Kontrolle, doch die neuen Scheidungsgesetze haben das geändert.»

«Die meisten dieser Morde sind die Folge von unsicheren Männern, die in einem Moment von Verlassenheit und narzisstischem Zusammenbruch die Kontrolle verlieren. Die Wut kann sich auf die Ehefrau oder auf die ganze Familie richten.»

Wege der Gewaltprävention

Martin Boess, der Leiter der Schweizerischen Kriminalprävention, die von den kantonalen Polizeistellen finanziert wird, sagte, dass es nun Zeit sei, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, das viel zu lange unterschätzt wurde.

«Obwohl die Zahlen in der Schweiz eher tief sind, so sind sie im Vergleich zu anderen Ländern doch erschreckend. Wir müssen die Untersuchungen mit Präventionsarbeit verbinden. Wir müssen einen Weg finden, wie die Gesellschaft in Zukunft besser reagieren und solche Morde verhindern kann», sagte Boess.

swissinfo, Adam Beaumont, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Susanne Schanda)

Ergebnisse der Nationalfonds-Studie über Tötungen in 4 Kantonen:
58% der Tötungen waren Familiendelikte.
In 84% der Fälle waren Männer die Täter.
Bei 39% der Fälle wurde eine Feuerwaffe verwendet.
Wenn in einem Fall zwei oder mehr Personen getötet wurden, wurde zu 79% eine Feuerwaffe verwendet.

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