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Der weite Weg zur Gleichstellung der Geschlechter

Schweizer Frauen sind gerne gesehen - hier in der Appenzeller-Tracht - aber weniger gerne gehört. Keystone Archive

In der Schweiz sind Frauen noch lange nicht den Männern gleichgestellt. Viel muss noch getan werden, sagt die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen.

Die Kommission begeht heute Donnerstag ihren 30. Jahrestag. Sie betont, dass trotz bestehender Gesetze die Schweiz punkto Gleichheit der Geschlechter noch weit hinter den Musterländern Schweden oder Norwegen nachhinke.

Als 1976 die Kommission für Frauenfragen (EFK) ins Leben gerufen wurde, musste eine verheiratete Schweizer Frau noch ihren Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie irgendwo arbeiten wollte. Statistiken über gleichen Lohn für gleiche Arbeit gab es nicht, und weibliche Opfer von häuslicher Gewalt wurden alleine gelassen.

Seither hat sich die Lage der Frau zwar verbessert. Doch die Fortschritte sind nur harzig erzielt worden.

«Es wurden gesetzliche Bestimmungen erlassen, und das Gleichheitsgesetz steht heute in der Verfassung», sagt EFK-Leiterin Elisabeth Keller gegenüber swissinfo.

Doch trotz der besseren gesetzlichen Bedingungen litten die Schweizer Frauen immer noch unter Diskriminierung. Der Grossteil der Hausarbeiten entfalle immer noch auf die Frau. Im Job gebe es im Schnitt 20% weniger Lohn als bei Männern mit gleicher Arbeit, und im oberen Management und der Politik seien Frauen immer noch krass untervertreten.

Im internationalen Vergleich liegt der Frauenanteil mit 25% im Schweizer Parlament im unteren Drittel. In der Geschäftswelt ist der Anteil noch viel tiefer.

Die 26 grössten Schweizer Unternehmen haben nur 3% Frauen im Topmanagement. Lediglich 9% sitzen in den Verwaltungsräten. Im mittleren und unteren Kader stieg der Frauensteil von 19% im Jahr 1991 auf heute rund 30%.

Mentalität ändern

Keller sagt, dass das Reduzieren dieser Ungleichheit zwischen den Geschlechtern mehr brauche als Gesetze. Die Mentalität in der Schweizer Gesellschaft müsse sich ändern. Nicht nur bei den Männern, auch bei den Frauen.

«Wir müssen mehr tun, damit die festgefahrenen, traditionellen Geschlechterrollen in der Schule, bei der Arbeit, im Privaten und in der Politik beseitigt werden. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern spielt das Geschlecht im Beruf immer noch eine entscheidende Rolle bei der Berufswahl.» Da sei es wichtig, dass auch die jungen Leute bereits in der Schule darauf hingewiesen würden.

Keller betont auch, dass es gerade für Schweizerfrauen schwierig sei, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen.

«Kommen Leute aus andern Ländern Europas, können sie die Debatte hier oft nicht verstehen. Für sie ist es klar, dass wir unsere Kinderbetreuung verbessern müssen», sagt Elisabeth Keller. Es liege in der Verantwortung der Gesellschaft, ideale Bedingungen wie Kinderkrippen oder Tagesschulen zu schaffen, damit beide Elternteile flexibel arbeiten könnten.

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt bleibt ein ernstes Problem in der Schweiz. Gemäss Amnesty International wird eine von fünf Frauen einmal im Leben Opfer häuslicher Gewalt. Das heisst Opfer von Drohungen, Erpressung, Schlagen oder Vergewaltigung.

«Auch hier hat zwar der Gesetzgeber gehandelt. Doch schauen Sie in die Zeitungen, da lesen Sie täglich, wie ernst das Problem ist», sagt Keller.

«Es ist wichtig, dass sich diejenigen der Tatsachen bewusst sind, welche täglich damit konfrontiert werden: Polizei oder Sozialarbeiter. Sie müssen helfen, um zu besseren Vorbeugungs-Massnahmen zu gelangen.»

Am Mittwoch hat die Schweizer Regierung beschlossen – unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Bundesversammlung – das UNO-Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu ratifizieren.

Das Fakultativprotokoll ist eine Ergänzung zum UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), welchem die Schweiz bereits am 27. März 1997 beigetreten ist.

«Das ist typisch für die Schweiz», meint Elisabeth Keller. «Wir sagen, da gibt es noch Frauen-Diskriminierung in unserem Land, aber schaut, wir sind dabei, etwas dagegen zu tun.»

swissinfo, Simon Bradley
Übertragung aus dem Englischen: Urs Maurer

Die Eidgenössische Frauenkommission (EFK) war 1976 vom Bundesrat als ausserparlamentarische Kommission eingesetzt worden.

Als unabhängiges, überparteiliches Organ nimmt sie eine Brückenfunktion zwischen Politik, Behörden und Zivilgesellschaft ein.

Die EFK beobachtet und kommentiert die Situation der Frauen in der Schweiz und formuliert Empfehlungen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern.

Ausserdem nimmt die EFK Stellung zu Gesetzesentwürfen und arbeitet mit Behörden, Organisationen und weiteren interessierten Kreisen zusammen.

Die Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit gehört auch zu den Aufgaben der Kommission.

Die Gleichstellung zwischen Frau und Mann wurde 1981 in der Bundesverfassung festgeschrieben.

Das Gleichstellungsgesetz (Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau) ist seit 1996 in Kraft.

Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen wurde 1976 ins Leben gerufen.

Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann wurde 1988 vom Bundesrat eingesetzt.

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