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Der Zeit ihre Zeit lassen

Zwei Sportunfälle - gleiche Folgen: Clay Regazzoni (1980) und Silvio Beltrametti (2001). swissinfo.ch

Clay Regazzoni war schockiert, als er vom schrecklichen Sturz des Schweizer Abfahrers Silvio Beltrametti hörte. Der frühere Formel-1 Pilot weiss, was es heisst, plötzlich gelähmt zu sein.

Val d’Isère, Sonntag, 9. Dezember 2001. Ein Loch in einem Werbebanner am Pistenrand. Dann ein Loch im Sicherheitsnetz. Einige Meter weiter hinten liegt regungslos der junge Bündner Skirennfahrer Silvio Beltrametti, die Schweizer Abfahrtshoffnung. Sein Rückenmark wurde durch die Wucht des Aufpralls zwischen dem sechsten und siebten Rückenwirbel durchtrennt: Silvio Beltrametti wird querschnittgelähmt sein.

Rennstrecke von Long Beach, 30. März 1980. Der Schweizer Formel-1 Rennfahrer Clay Regazzoni drückt aufs Bremspedal, die Bremsen sprechen nicht an. Der Tessiner knallt mit 240 km/h in eine Mauer. Bruch des 12. Rückenwirbels. Clay Regazzoni wird querschnittgelähmt sein.

21 Jahre sind seither vergangen. Eine Generation ist ins Land gezogen. Zwei Geschwindigkeits-Fans finden sich im Rollstuhl wieder. Was ging Clay Regazzoni durch den Kopf, als er vom Schicksal von Silvio Beltrametti hörte?

Muss immer alles schneller werden?

«Ich befand mich gerade auf einer Reise in Italien», sagt Clay Regazzoni gegenüber swissinfo. Als er die Nachricht hörte, habe er sich geärgert, sei irgendwie wütend geworden. Solche Unfallfolgen, habe er gedacht, dürften in den Geschwindigkeits-Sportarten heute einfach nicht mehr vorkommen. Nicht in der Formel-1, nicht im Skirennsport.

«Als mein Unfall 1980 geschah, steckten die Sicherheits-Bestimmungen und – Vorkehrungen noch in den Kinderschuhen. Man begann erst damit, über Sicherheit nachzudenken. Aber heute ist man viel weiter und deshalb müsste das, was Silvio geschehen ist, zu vermeiden sein.»

Regazzoni ist heute auch ein vehementer Gegner des Trends, dass alles immer schneller werden muss. Ob im Autorennsport oder bei den Skirennen. Das Material würde durch Forschung laufend verbessert. An den Menschen, der das alles dann noch beherrschen soll, werde kaum gedacht.

Wenn man jung ist………

«Es müssen immer wieder solche Unfälle geschehen. Vorher geht die Diskussion nicht los.», sagt Regazzoni. «Und wenn die Unfälle mal geschehen sind, will niemand die Verantwortung dafür übernehmen. Die Organisatoren nicht, die Verbände auch nicht.» Ein Paradebeispiel dafür sei der Unfalltod des brasilianischen Formel-1 Piloten Ayrton Senna.

Denkt man denn als Spitzensportler daran, dass man schwer verunfallen könnte, dass man gar sterben könnte, beim Ausüben seines Sportes?

«Nein», meint Regazzoni, «man denkt doch nicht an einen solchen Unfall». Sonst könnte man gar nicht an den Start eines Rennens gehen. Und man sei jung, da fasziniere die Geschwindigkeit halt einfach. Auch soll man nicht einen Zusammenhang zwischen dem Leben im Rollstuhl und dem Rennsport ziehen. «Ein Unfall kann immer und überall geschehen», sagt Clay Regazzoni.

Zu sich finden

Für Silvio Beltrametti sei es jetzt wichtig, dass er nun auf seine Familie und seine Freunde zählen könne. Sie seien nun sehr wichtig beim Verarbeiten des Schocks.

«Die ersten Jahre werden die schwierigsten sein. Dann, wird man nach und nach merken, dass weiterhin vieles möglich ist. Auch im Rollstuhl. Man muss der Zeit ihre Zeit lassen. Nichts überstürzen. Im Gegensatz zu mir, soll sich Silvio Beltrametti die Zeit nehmen und darüber nachdenken, was ihm geschehen ist. Dann wird er zu sich finden».

Bei ihm sei das damals nicht möglich gewesen. Die Journalisten und Besucher hätten sich die Klinke in die Hand gegeben. «Es war ein richtiges Geläuf an meinem Krankenbett. Ich konnte kaum zu mir kommen».

Mathias Froidevaux

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