Der Zwiespalt der Schweiz in der Kleinwaffen-Frage
Vertreter aus 70 Ländern wollen an einer Konferenz in Genf der UNO im Kampf gegen Gewalt durch Kleinwaffen Beine machen. Ziel ist die Einschränkung des weltweiten Handels mit diesen Killern Nr. 1.
Nicht Kriege sind es, die den grossen Tod bringen, sondern die Kriminalität, ob organisiert oder in Form der so genannten Kleinkriminalität.
Mehr als zwei Drittel der 740’000 Menschen, die jedes Jahr durch Waffengewalt ihr Leben verlieren, sterben ausserhalb von Kriegszonen. Die Zahl der Verletzten und Behinderten dürfte etwa das Zehnfache betragen.
Zu diesem Schluss kommt Keith Krause in seinem Bericht «Small arms survey». Darin zieht er eine erste Bilanz über die Genfer Erklärung über Waffengewalt und Entwicklung von 2006.
Krause ist Professor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID) und Direktor des dortigen Programms zur Kontrolle von Kleinwaffen.
Die Deklaration wurde 2006 von 42 Ländern unterzeichnet. Heute haben sich 94 Länder verpflichtet, den Aktionsplan zur Verringerung der Gewalt durch Kleinwaffen und Stärkung der menschlichen Sicherheit bis 2015 umzusetzen.
Entwicklungsbremse
«Die Kosten der Gewalt abseits der Konfliktgebiete belaufen sich jährlich auf 95 Mrd. Dollar, dies in Form von Produktivitätsverlusten infolge der Todesfälle», schreibt Krause. Künftig könnten die Ausfälle gar auf 163 Mrd. Dollar oder 0,14% der weltweiten Bruttoproduktion steigen.
«Waffengewalt ist eine der grössten Entwicklungsbremsen», lautet das Fazit von Botschafter Thomas Greminger, dem Chef der Sektion Friedenspolitik und Menschliche Sicherheit im Schweizerischen Aussenministerium (EDA).
Das EDA war es denn auch, das zusammen mit dem UNO-Programm für Entwicklung die Tagung organisierte. In Genf sind Vertreter aus 70 Ländern präsent, darunter 17 Minister. Dazu kommen 15 internationale Organisationen und 34 Nichtregierungs-Organisationen.
Staaten sensibilisieren
Die Teilnehmer in Genf stehen vor einer komplexen Aufgabe. Mit Hilfe der von Krause gesammelten Materialien und Daten wollen sie ein Instrumentarium aufbauen, mit dem sich Fortschritte im Bereich der Kleinwaffengewalt messen lassen. Davon erhoffen sie sich eine Schärfung des Bewusstseins seitens der Regierungen für das Problem.
«Wir hoffen, dass wir von den in Genf teilnehmenden Staaten Unterstützung für eine Resolution erhalten, die wir der nächsten UNO-Generalversammlung von diesem Herbst präsentieren», sagte Botschafter Greminger.
In erster Linie gehe es aber um die Weiterentwicklung des Prozesses, der durch die Genfer Deklaration eingeleitet worden sei.
Kampf neu lancieren
Ziel der Resolution ist es, dass sich die UNO den Kampf gegen Gewalt durch Kleinwaffen auf ihre Fahnen schreibt. Dieses Engagement sehen Krause und Greminger als Teil des Kampfes für die Milleniumsziele, welche sich die Staaten zur Halbierung der Armut in der Welt bis 2015 gesetzt haben.
Zentrale Bedeutung bei dieser ambitionierten Zielsetzung haben Beschäftigung, Gesundheit und Bildung. Bereiche, die laut Keith Krause eng zusammen hängen.
«In Brasilien landen viele Jugendliche im Milieu der bewaffneten Gewalt, weil sie keinen Schulabschluss gemacht haben. Es braucht Programme, um sie so lange wie möglich in der Schule zu halten», sagt der Professor.
Thomas Greminger betont den multilateralen Charakter der Schweizer Initiative. «Wir waren enttäuscht, dass es bei der Umsetzung des UNO-Aktionsplans gegen den kriminellen Handel mit Kleinwaffen kaum Fortschritte gab.»
Schwergewichtige Bremser
Dafür verantwortlich sind in erster Linie die USA, Russland und China. Sie fungierten als Bremser, weil sie zu den grössten Herstellern von leichten Waffen gehören.
Um den Widerstand dieser grossen Produzenten zu überwinden und der Genfer Erklärung zum Durchbruch zu verhelfen, setzen die Schweiz und das UNO-Programm für Entwicklung stark auf die Zivilgesellschaft.
Doch die Schweiz selber ist nicht frei von Verstrickungen, gehört sie doch selber zu den vierzig grössten Herstellern von Kleinwaffen. In seinem Bericht attestiert Krause aber der Schweiz, dass sie in diesem Markt des Todes einer der transparentesten Player sei. Dies als Folge einer erfolgreichen Einmischung der Zivilgesellschaft.
Arbeit an der Front
Sechs Länder, die besonders unter Gewalt von Kleinwaffen leiden, führen Programme mit zukunftsweisendem Charakter durch: Burundi, Guatemala, Jamaika, Kenia, Papua-Neuguinea und Osttimor.
«In Guatemala arbeitet das UNO-Programm für Entwicklung mit den lokalen und nationalen Behören zusammen, um die Ausbreitung von Gangs zu stoppen, denn diese mischen stark im Drogenhandel mit», erklärt Keith Krause. Mit einer verstärkten Grenzüberwachung soll der illegale Handel erschwert werden.
swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)
Die Schweiz gehört zu den 40 grössten Produzenten von Kleinwaffen. 2004 exportierte sie Kleinwaffen für 14 Mio. Dollar, 2005 waren es 11,5 Mio. Dollar.
Der Kleinwaffenbestand in der Schweiz beträgt zwischen 1,2 und 2 Mio. Stück.
Die grössten Exporteure sind: USA, Italien, Deutschland, Belgien, Österreich, Brasilien, Russland und China.
Die grössten Importeure: USA, Saudi-Arabien, Kanada, Frankreich und Deutschland.
Momentan stellen 51 Länder leichte Waffen her. Darunter fallen Luft- und Panzerabwehrraketen und schwere Maschinengewehre.
Den Transparenz-Barometer 2008 über den Kleinwaffenhandel führen die USA, Italien, die Schweiz, Frankreich, die Slowakei und Grossbritannien an. Am Schluss rangieren Iran und Nordkorea.
(Quelle: Small Arms Survey 2008)
Die UNO-Generalversammlung nahm 2005 zwingende Bestimmungen an über die Kennzeichnung und Identifizierung von Klein- und Kleinkaliber-Waffen.
Die Bestimmungen entsprangen einer diplomatischen Initiative der Schweiz.
Vorgesehen sind minimale obligatorische Hürden wie Registrierung der Waffen aufgrund von Identifikationsnummern sowie die internationale Zusammenarbeit zwischen den Staaten, der UNO und Interpol.
Wesentlich am Erfolg der Schweizer Initiative beteiligt ist das Genfer Forschungsprogramm über Kleinwaffen Small Arms Survey.
(Quelle: EDA)
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