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Die Abwanderung der Zuger soll gestoppt werden

In Zug hat für Normalverdiener Zügeln Hochkonjunktur. Keystone

Viele internationale Firmen zieht es in den Tiefsteuerkanton Zug und mit ihnen deren Mitarbeiter. Gleichzeitig müssen immer mehr Zuger ihre Heimat verlassen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Nun schafft Zug als erste Stadt Sonderzonen mit begrenzten Mietzinsen.

In der Stadt Zug hat mittlerweile jeder Winkel einen ökonomischen Wert. Einst erschwingliche Wohnsiedlungen werden von Investoren saniert, umgebaut und zu luxuriösen Business-Apartments «aufgewertet».

Zug ist der reichste Kanton der Schweiz, doch viele Einheimische, die dort die Schule besucht, eine Arbeit gefunden und eine Familie gegründet haben, können sich das Leben in Zug nicht mehr leisten.

Der Erfolg des Tiefsteuerkantons hat seine Kehrseiten: Dass die internationalen Firmen nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Bedarf an Wohnraum schaffen, wird der eigenen Bevölkerung zum Verhängnis. Zahlreiche Zuger, insbesondere aus dem Mittelstand, sehen sich angesichts der hohen Mietpreise gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Laut den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik hat Zug mit Abstand die höchste prozentuale Abwanderung in andere Kantone.

Zug nimmt Pionierrolle ein

Um dieser Abwanderung Einhalt zu gebieten, schafft Zug als erste Schweizer Stadt Sonderzonen für «preisgünstigen Wohnungsbau».

Die Zuger Stimmberechtigten haben diese Neuerung in der Bau- und Zonenordnung 2009 mit 62 Prozent deutlich angenommen. Ab dem 1. Januar 2011 tritt sie nun in Kraft.

Auf vier Grundstücken mit einer Fläche von 3,5 Hektaren, welche die Stadt im Rahmen der Zonenplanrevision 2008 in die Bauzone aufgenommen hat, sollen zwischen 300 und 700 für den Mittelstand bezahlbare Wohnungen entstehen. Insgesamt ist mindestens die Hälfte der Geschossflächen für «preisgünstige Wohnungen» reserviert.

«Bezahlbar» und «kostengünstig», diese Begriffe sind in Zug relativ. So darf etwa eine Vier-Zimmer-Wohnung maximal 2300 Franken und eine 2-Zimmer-Wohnung maximal 1475 Franken kosten – ohne Nebenkosten.

Sozialer Wohnungsbau sei nie das Ziel der Verordnung gewesen, sagt die Bauchefin der Stadt Zug, Andrea Sidler Weiss gegenüber Schweizer Radio DRS. Profitieren sollen die mittleren Einkommen. «Meine Hoffnung ist, dass mehr Zuger, auch die Jungen, in ihrem Heimatkanton bleiben können und nicht, wie es jetzt so oft passiert, von Zug wegziehen müssen.»

Für Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN, ist jedoch klar: «Es ist ein erster Schritt, doch die Schaffung von Sonderzonen reicht nicht aus.“ Das Problem betreffe breite Bevölkerungsteile.

«Viel versprechend»

Laut der Studie «Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus», die im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO) von der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN durchgeführt und anfangs 2010 publiziert wurde, ist der von Zug gewählte Lösungsansatz «viel versprechend».

Es fehlten zwar noch konkrete Erfahrungen, doch würden «vielfältige und positive» Erfahrungen in ähnlichen Bereichen bestehen. So etwa die Wohnanteilpläne der Städte, mit denen die Verdrängung von Wohnraum durch ertragsstarke Gewerbe- und Dienstleistungsnutzungen verhindert oder Erstwohnanteilpläne in Tourismusorten, mit denen der Zweitwohnungsbau gesteuert werde.

Gleiches Problem, verschiedene Ursachen

Zug steht mit dem Problem der überteuerten Mietwohnungen in der Schweiz alles andere als allein da. Während in Tiefsteuerkantonen wie Zug und Schwyz internationale Konzerne und ausländische Spitzenverdiener den Mittelstand verdrängen, wirkt sich etwa in Ferienorten wie Gstaad oder Zermatt die grosse Nachfrage nach Zweitwohnungen auf die Mietpreise aus.

In der Grossstadt Zürich wiederum führe die Attraktivität der Stadt zu einer verstärkten Zuwanderung aus dem In- und Ausland, wie Brigit Wehrli, Direktorin der Fachstelle Stadtentwicklung in Zürich, gegenüber swissinfo.ch sagt. «Obwohl sehr viel gebaut wurde, haben wir deshalb eine nicht zu befriedigende Nachfrage nach Wohnraum in allen Preislagen. In den besonders begehrten Wohnlagen werden deshalb vermehrt Wohnbauten saniert und zu Luxuswohnungen umgebaut.»

Gemäss der oben erwähnten Studie stellen 60% der insgesamt rund 500 befragten Gemeinden einen generellen Mangel an Mietwohnungen fest. Die Bereitschaft der Gemeinden, Anreize zu schaffen, um den gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern, scheint laut der Vereinigung für Landesplanung vielerorts vorhanden.

Fehlende Areale

«Das Zuger Modell wäre theoretisch auch für Zürich interessant, aber es braucht dazu Areale, die noch nicht überbaut sind. Über solche verfügt die Stadt Zürich praktisch nicht mehr», sagt Brigit Wehrli. Dort wo grössere Vorhaben anstehen und es einen Gestaltungsplan oder andere Sondernutzungspläne braucht, verlange unter anderem das Parlament bereits heute einen Anteil an gemeinnützigen Wohnraum.

Die Stadt Zürich weist mit rund 25% einen grossen Anteil gemeinnütziger Wohnungen auf. Für Wehrli ist der gemeinnützige Wohnungsbau in Zürich «ein Erfolgsmodell, da die Siedlungen auf die ganze Stadt verteilt sind und zur guten Durchmischung beitragen». Der bisherige Anteil am Gesamtwohnungsbestand soll deshalb weiterhin mindestens gehalten werden.

Das Problem der zu hohen Mieten im Moment vor allem auf die begehrten Innenstadtquartiere fokussiert. Es gebe in Zürich nach wie vor einen grossen Anteil an älterer Bausubstanz mit günstigen Wohnungen. Der gegenwärtige Neubau von Wohnungen, darunter auch viele Genossenschaftswohnungen und preisgünstige Wohnungen in Stadtrandquartieren, leiste einen wichtigen Beitrag für den Mittelstand. Im Stadtrandquartieren seien auch viele neue preisgünstige Wohnungen entstanden.

Auf ein nochmals anderes Modell als die Städte Zug und Zürich setzt die Zuger Gemeinde Oberägeri: Sie hat vor ein paar Jahren bei Neueinzonungen ein Kaufsrecht für die Gemeinde geschaffen. Das heisst, sie kann bei der Schaffung neuen Baulands, einen Teil selbst erwerben und darauf günstigen Wohnraum errichten.

Laut Prognose der Beratungsfirma Wüest & Partner werden die Mietpreise in den beiden Grossstädten Genf und Zürich und ihren Agglomerationen in den nächsten 12 Monaten erkennbar steigen.

Während in Zürich die Mietpreise um 0,4% zulegen dürften, steigen sie am Genfersee um 1%. Das ist allerdings deutlich weniger als in den vergangenen 12 Monaten: Das Wachstum betrug in der ganzen Schweiz 2,5%, allein in der Genferseeregion sogar 8,6%. In Zürich legten die Preise um 2,1% zu.

Die Erholung der Schweizer Wirtschaft nach der Krise wird sich laut Wüest & Partner mit etwas Verzögerung auf die Nachfrage im gesamtschweizerischen Wohnungsmarkt auswirken.

Der Wanderungssaldo ausländischer Arbeitskräfte, die zu den Haupttreibern der Nachfrage zählten, dürfte 2010 bei rund 75’000 Personen liegen. Das ist in etwa gleich viel wie 2009 und im Vorkrisenjahr 2007.

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