Die Gefängnisse sind voll
Die Zahl der Personen mit Freiheits-Entzug hat in der Schweiz 2005 erstmals die Grenze von 6000 überschritten, schreibt das Bundesamtes für Statistik.
Seit 2002 verzeichnen die Anstalten und Institutionen des Freiheits-Entzugs einen starken Anstieg der Anzahl Insassinnen und Insassen.
Durchgeführt wurde die Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) am 7. September letzten Jahres bei 122 Anstalten und Institutionen des Freiheitsentzugs der kantonalen Justiz- und Polizeidepartemente.
Die Zahl der Insassen betrug in den Jahren 2001 und 2002 rund 5000 Personen. Danach stieg sie stark an und bewegte sich bei den Erhebungen 2004 und 2005 um die 6000 Personen. 2004 wurde mit plus 15% die grösste Zunahme festgestellt.
Kein Notstand
Die Haftanstalten in der Schweiz waren gesamthaft zu 93% belegt. Die Belegung war in den Massnahmen-Anstalten, den Gefängnissen sowie den geschlossenen Anstalten überdurchschnittlich hoch, wie die Erhebung zeigt.
Unter dem Durchschnitt lag die Rate in den offenen und halboffenen Anstalten, den Arbeitserziehungs-Anstalten sowie den Zentren für Zwangsmassnahmen. Rund 40 der 122 befragten Institutionen hatten eine Belegungsrate von 100% oder mehr.
Von einer Krisensituation bei den Gefängnisplätzen könne nicht gesprochen werden, sagt Ulrich Luginbühl, Präsident der Schweizerischen Anstaltsleiter-Konferenz, gegenüber swissinfo.
Gründe für hohe Belegung
Doch es gebe Gründe, warum die Belegung so hoch sei, und warum sie seit 2002 wieder ansteige. Die Zahl der Eintritte sei nämlich stabil geblieben, stetig zugenommen habe die Zahl der Aufenthaltstage.
«Viele Insassen sind stärker psychisch auffällig und müssen im Vollzug behandelt werden. Sie sind damit länger im Gefängnis», erklärt Luginbühl.
Weiter habe der Kriminaltourismus, darunter auch der Drogenhandel, stark zugenommen. «Täter und Täterinnen müssen die Strafe im Land absitzen, wo sie die Tat begangen haben», so Luginbühl weiter.
Zudem seien kleinere Gefängnisse geschlossen worden, «so dass vorübergehend etwas weniger Plätze vorhanden sind».
71% Ausländer
Am Stichtag 2005 waren insgesamt 3771 Personen im Strafvollzug (inklusive vorzeitiger Strafvollzug), 1877 in Untersuchungshaft, 368 in Ausschaffungs- oder Auslieferungshaft. 95 waren aus anderen Gründen inhaftiert (Polizeihaft oder fürsorgerischer Freiheitsentzug).
Der Anteil der inhaftierten Frauen war in den letzten fünf Jahren mit 5% stabil. Der Ausländeranteil an der gesamten Insassen-Zahl beträgt 71%. Ohne Auslieferungs- und Ausschaffungshaft sind es 65%.
Die mittlere Aufenthaltsdauer hat sich in den vergangenen vier Jahren um etwas mehr als eine Woche verlängert. 2004 betrug sie rund 20 Tage. Dies sei nach wie vor verhältnismässig kurz und deutlich weniger als die vom Gesetz maximal zugelassenen neun Monate, hielt das Bundesamt für Statistik fest.
Ein Drittel in U-Haft
Am Stichtag befand sich ein Drittel aller Insassinnen und Insassen in Untersuchungshaft. Von diesen rund 1900 Insassen waren 19% Schweizer und 81% Ausländer.
Die Gruppe der ausländischen Untersuchungshäftlinge gliederte sich in 22% Asylsuchende, 30% in der Schweiz wohnhafte Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung und 48% Personen mit Wohnsitz im Ausland oder ohne bekannten Wohnsitz.
Über die Hälfte aller Untersuchungshäftlinge hatte keinen offiziellen Wohnsitz in der Schweiz oder den Status als Asylsuchende und damit eine ungewisse Zukunft in der Schweiz.
Es sei denkbar, dass bei diesen Personengruppen von einer grösseren Fluchtgefahr während der Untersuchungsphase ausgegangen werde und sie deshalb in der Untersuchungshaft stark vertreten seien, schreibt das Bundesamt.
Kritik des Europarats
Im vergangenen Jahr hatte der Menschenrechts-Kommissar des Europarats in einem Bericht an die Schweizer Regierung Verbesserungen im Strafvollzug gefordert. Kritisiert worden waren unter anderem die Überbelegung in einer Genfer Anstalt und der Umgang mit Minderjährigen in einer Tessiner Anstalt.
Die Regierung nahm von dem Bericht Kenntnis und erklärte, in «gewissen Bereichen bestünden Differenzen». Der Bericht werde aber dennch an das Parlament und an die betroffenen Behörden von Bund und Kantonen weitergeleitet.
swissinfo und Agenturen
Die Zahl der Insassen in Schweizer Gefängnissen ist von rund 5000 im Jahr 2002 auf mehr als 6000 im Jahr 2005 angestiegen.
Insgesamt verfügen die Haftanstalten über 6540 Plätze.
Der Anteil der Ausländer lag bei 65%, dazu kamen 6%, die in Auslieferungs- oder Ausschaffungs-Haft sassen.
Nur 5% der Inhaftierten sind Frauen.
Der Anteil der Inhaftierten an der Gesamtbevölkerung stieg seit 2003 um 12%.
Damit kamen im September 2005 83 Häftlinge auf 100’000 Einwohner.
Im europäischen Durchschnitt sind es 97 Häftlinge.
Die Schweizerische Bundesverfassung sieht in Art. 48 vor, dass die Kantone für Fragen, die in ihre Kompetenz fallen, unter sich Abkommen schliessen können, so genannte Konkordate.
Diese Möglichkeit nutzen die Kantone im Bereich des Strafvollzugs.
Sie schlossen sich zur gemeinsamen Regelung und Organisation dieser Fragen zu drei Strafvollzugs-Konkordaten zusammen: Ostschweiz, Nordwest- und Innerschweiz sowie Romandie und Tessin.
In der Schweiz gibt es:
9 geschlossene Anstalten
10 halboffene Anstalten
Dazu kommen zahlreiche Regional- und Untersuchungs-Gefängnisse.
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