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Die Grenzen des Kampfs gegen Terrorismus

Jacques Baud, Autor mehrerer Studien über Terrorismus, darunter "Der asymmetrische Krieg oder die Niederlage des Siegers". jacquesfbaud.ch

Um dem Terrorismus zu begegnen, ist der Sicherheits-Ansatz der Schlechteste, sagt der Schweizer Geheimdienst-Experte Jacques Baud.

Baud, Fachmann für Terrorismus, vermutet, dass die kürzlich verhinderten Anschläge auf Flugzeuge in London keine Änderung der terroristischen Bedrohung bedeuten.

Die Entdeckung von letzter Woche, dass Terroristen Attentate auf amerikanische Flugzeuge geplant hatten, hat die Bedrohung der westlichen Länder durch den Terrorismus wieder ins Gespräch gebracht.

Diese grosse Verschwörung hat in vielen Flughäfen der Welt zu einer Verschärfung der Sicherheitsmassnahmen geführt, so auch in Zürich und Genf.

Jacques Baud, Autor mehrerer Studien über den Terrorismus, analysiert für swissinfo die verschiedenen Auswirkungen der verhinderten Attentate, die mit flüssigem Sprengstoff geplant waren.

swissinfo: Laut Spezialisten sind die Bestandteile des flüssigen Sprengstoffs überall zu kaufen und die Anleitungen im Internet zu finden. Ändert der Terrorismus sein Wesen?

Jacques Baud: Diese «Rezepte», um Sprengstoff mit frei zugänglichen Produkten herzustellen, finden sich bereits seit Jahrzehnten in der Spezial-Literatur. Sprengstoff-Mischungen können mit Aspirin, Urin, Kakaopulver oder Javelwasser hergestellt werden.

Das Londoner Komplott ist daher nicht eine Änderung des Wesens der Bedrohung Terrorismus.

swissinfo: Kann die Schweiz ihre innere Sicherheit weiterhin in der gleichen Art und Weise garantieren?

J.B.: Ich vermute, dass diese «Rezepte» oder wenigstens die Bedrohung, die sie darstellen, unseren Polizeikräften bekannt sind.

Trotzdem zeigen sie die Schwierigkeit auf, eine Kontrolle über alles zu haben, was zu einer terroristischen Bedrohung eingesetzt werden könnte. Wie will man den Verkauf von Puderzucker oder von sanitären Bauteilen kontrollieren? Das ist praktisch unmöglich.

swissinfo: Reicht ein rein auf Sicherheit setzendes Vorgehen gegen diese Art von Bedrohung?

J.B.: Um der Frage des Terrorismus zu begegnen, ist der Sicherheits-Ansatz der Schlechteste. Denn die Sicherheit hinkt der terroristischen Intention immer hinterher.

Das Problem ist, dass ein antizipierendes Vorgehen bedingt, dass man die Motivation der Terroristen wirklich versteht. Das ist jedoch bei weitem nicht der Fall. Häufig gilt dann aber «versuchen, zu verstehen» sogar als «akzeptieren».

Dennoch muss festgehalten werden, dass gewisse Entscheidungen – wie beispielsweise den Irak anzugreifen – den Islamisten den «Anlass» zu mehr terroristischen Aktivitäten gegeben haben.

Terroristen zu eliminieren heisst nicht unbedingt, den Terrorismus zu eliminieren. Häufig schafft man mit dem Beseitigen von Terroristen oder Netzwerken sogar, dass neue Terroristen oder Netzwerke entstehen, die noch schwieriger zu identifizieren sind.

swissinfo: Unter einem militärischen Blickwinkel handelt es sich beim Terrorismus der Al Kaida um einen asymmetrischen Krieg, eine Art Konflikt, wie er auch Irak, die palästinensischen Gebiete und Libanon heimsucht. Sind diese verschiedenen Konflikte insofern von der gleichen Art?

J.B.: Das Prinzip des asymmetrischen Krieges, wie ich es in meinen Büchern beschrieben habe, will nicht von der Überlegenheit profitieren, sondern vielmehr die Überlegenheit des Gegners in eine Schwäche umwandeln.

Das ist beispielsweise bei der Hisbollah in Libanon oder der palästinensischen Hamas der Fall, die nach der Entdeckung eines Terroristen die Finanzierung des von Israel zerschossenen Hauses oder eines Umzugs der betroffenen Familie übernehmen.

Ein weiterer Aspekt der Asymmetrie ist, dass in der islamistischen Bewegung der Sieg nicht bedeutet, den Gegner zu zerstören, sondern vielmehr der Fähigkeit entspricht, dem Gegner zu widerstehen.

Dies zeigt auch, warum die Hisbollah erklärt hat, sie habe den Krieg in Libanon gewonnen. Auch wenn der Süden des Landes zerstört ist.

swissinfo-Interview: Frédéric Burnand, Genf
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Der letzte Sicherheitsbericht des Bundesamts für Polizei (fedpol) unterstreicht, dass Europa und die Schweiz eine Basis für Operationen islamistischer, von Al Kaida inspirierter Terror-Gruppen geworden sind.

Im Juni 2006 hat die Bundesanwaltschaft (BA) die Verhaftung mehrerer Mitglieder einer terroristischen Zelle bestätigt, die von der Schweiz aus ein Attentat auf ein israelisches Flugzeug geplant hatten.

Im August 2004 war Mohammed Achraf, Mitglied einer islamistischen Zelle, auf dem Flughafen Zürich Kloten verhaftet worden. Er wurde an Spanien ausgeliefert.

Seit Montag sind auf den Schweizer Flughäfen die Sicherheitskontrollen für Flüge nach Grossbritannien verstärkt worden.

Neben dem Verbot von Flüssigkeiten und Gels ist die Durchsuchung des Handgepäcks und die Abtastung aller Passagiere mit Destination Grossbritannien obligatorisch.

Am Flughafen Zürich dürfen Reisende nach den USA seit Dienstag nicht mehr in Cafés und Bars. Nach der Sicherheitskontrolle bekommen sie seit Dienstag nur noch Leitungswasser zu trinken.

Der Flughafen Genf-Cointrin mit lediglich zwei USA-Flügen hat keine derartigen Bestimmungen eingeführt.

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