Die Herren der Lawinen
Kälte und Schnee bringen sie mit sich: die Lawinen. Jedes Jahr sterben in der Schweiz 25 Menschen den weissen Tod.
Das europaweit einmalige Forschungsinstitut in Davos (SLF) untersucht seit 60 Jahren Schnee und Lawinen. Täglich werden Ski-, Tourenfahrer und Snowboarder über die aktuellen Gefahren informiert.
Die Schweiz ist das Herz der Alpen. Jeden Winter streifen Tausende von Sportlern und Wanderern durch die verschneiten Bergwelten der Eidgenossenschaft. In den meisten Fällen passiert glücklicherweise nichts.
Aber es lauern Gefahren. Die Lawinenjahre 1951 und 1999 haben dies in eindrücklicher Weise gezeigt. Aber auch so genannte normale Jahre haben eine hohe Opferbilanz: 21 Menschen verloren beispielsweise im letzten Winter unter Lawinen ihr Leben.
Der Druck der Lawine
«Grosse Lawinen erzeugen einen Druck von 20 bis 30 Tonnen pro Quadratmeter. Nur zum Vergleich: Eine Tonne würde ausreichen, um eine Lokomotive entgleisen zu lassen», sagt Paul Föhn, Vizedirektor des Eidgenössischen Schnee- und Lawinenforschungs-Instituts in Davos, im Gespräch mit swissinfo.
Lawinen können zudem eine Geschwindigkeit von 200 bis 300 km/h erreichen, ganze Dörfer, Strassen und Brücken mit sich reissen, von Menschen ganz zu schweigen.
Trotz seiner 30-jährigen Erfahrung in der Lawinenforschung wird Paul Föhn immer wieder von der Realität überrascht: «Denn letztlich können wir nie genau vorhersehen, wann und wo sich eine Lawine löst. Wir können nur die potentiellen Risiken einschätzen und zu den jeweiligen Sicherheits-Vorkehrungen raten.»
Interne Synergien
Das Institut SLF beschäftigt zirka 130 Personen. Das interdisziplinäre Team forscht in drei Hauptgebieten: Studium des Schnees, Naturkatastrophen und alpine Umwelt.
Die wissenschaftliche Tätigkeit wird durch eine sehr bekannte und nützliche Dienstleistung ergänzt. Täglich wird ein Lawinenbulletin erstellt, das die Lawinengefahr national und regional erfasst. In der Hochsaison sind es gar zwei Bulletins täglich.
Die Kombination aus Forschung und informativen Dienstleistungen für die Bevölkerung macht aus dem SLF ein einmaliges Kompetenzzentrum für Europa.
Achtung Lawinenbulletin
Aber wie werden diese Lawinenbulletins erstellt? Wo stammen die Daten her? Und welchen Nutzen haben die Bulletins?
«Wir arbeiten mit mehr als 100 Beobachtungsstationen und Experten im Alpenraum zusammen, die uns ständig Daten zur Quantität und zur Beschaffenheit des Schnees liefern», sagt Thomas Wiesinger, einer der Verantwortlichen für das Lawinenbulletin.
Zudem verfügt das SLF in den unterschiedlichsten Höhen und Lagen über etliche automatische Messstationen. Diese messen unter anderem auch Temperaturen und Windstärke.
Die Daten werden auf elektronischem Weg an die Zentrale in Davos weitergeleitet. Dort wird das Lawinenbulletin in drei Landessprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch) erstellt und über die Medien an die Öffentlichkeit weiter geleitet.
«Wir sind überzeugt, dass unsere Bulletins einen Einfluss auf Bergwanderer und Tourenskifahrern haben», ist Thomas Wiesinger überzeugt.
Faktor Mensch
Trotzdem werden in der Schweiz 80 bis 90 Prozent der Lawinen von Tourenskifahrern und Bergsteigern ausgelöst, das heisst ausgerechnet von denen, die trotz hohes Gefahrpotentials für den Skilauf ausserhalb von Pisten optieren.
Wann ist die Lawinengefahr besonders hoch? «Wenn eine heterogene Schneedecke aus mehreren Schichten existiert, es in wenigen Tagen viel schneit, dann starker Wind aufkommt und die Temperaturen kurzfristig ansteigen», sagt Wiesinger.
Doch Gefahren lauern auch bei grosser Kälte. «Wenn es sehr klar ist, bilden sich Schichten und der Schnee wird dadurch sehr instabil», erklärt Paul Föhn. Es gibt folglich eine Vielzahl massgebender Faktoren.
Vor allem gibt es den Faktor Mensch. Ein falscher Tritt am falschen Ort oder eine falsche Belastung eines Skis können eine Katastrophe auslösen.
Für Thomas Wiesinger stellt generell «der Zeitraum zwischen Weihnachten und Ende Februar das höchste Sicherheitsrisiko dar». Es ist genau die Periode, in der Tausende von Feriengästen und Skifans zum Wintersport in die Berge reisen.
swissinfo, Marzio Pescia, Davos
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Das Eidgenössische Institut für Lawinen- und Schneeforschung (SLF) wurde 1942 gegründet
Das Jahresbudget beträgt 12 Mio. Franken
Die Hälfte des Budgets wird durch externe Projektaufträge gedeckt
1951 war punkto Lawinen ein Katastrophenjahr. Damals starben 95 Menschen unter den Schneemassen. Die Katastrophen gaben den Ausschlag für umfangreiche Lawinenschutz-Verbauungen.
Auch die Winter 1967/68, 1974/75, 1983/84 und 1998/99 waren durch eine ausgesprochen hohe Anzahl von Lawinen gekennzeichnet.
Insbesondere 1999 ist als «Lawinenjahr» in die Geschichte eingegangen. In den Monaten Januar/Februar fielen damals auf der Alpennordseite insgesamt fünf Meter Neuschnee.
Die weisse Pracht löste zirka 1350 Lawinen aus, die Schäden zur Folge hatten. Die direkten Folgeschäden wurden auf 440 Mio. Franken geschätzt. Dazu kommen noch zirka 245 Mio. Franken, die dem Wintertourismus in den Bergen verloren gingen.
Das langfristige Jahresmittel besagt, dass in jedem Winter 25 Personen in der Schweiz den weissen Tod sterben.
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