Die SBB haben genug
Gewalt, Vandalismus und Schwarzfahren: Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) reagieren auf Delinquenz und Kriminalität.
Die Vergewaltigung einer 16jährigen Frau in einem Zürcher Vorortszug letzten Sonntagabend hat der Diskussion um die Sicherheit in den Zügen neuen Auftrieb gegeben. Schlagzeilen wie diese verunsichern die Kundschaft und setzen die SBB unter Druck.
«Statistisch gibt es keine Zunahme des Vandalismus und der Gewalt in den Zügen», betonte SBB-Sprecher René Baumann gegenüber swissinfo. Die jüngste Vergewaltigung sei dramatisch, und die SBB setzten alles daran, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederhole.
Nicht im Wilden Westen
«Wir sind nicht im Wilden Westen», beruhigt Baumann, «Zugfahren ist immer noch viel sicherer als ein Spaziergang in einer Schweizer Stadt».
Im ersten Halbjahr 2002 wurden etwas mehr als 100 Strafanzeigen gegen Zugspassagiere eingereicht, «aber im gleichen Zeitraum haben wir 180 Mio. Passagiere befördert». Das grösste Problem sei der Vandalismus, welcher die SBB jährlich 15 Mio. Franken kostet. Diese Zahl sei seit drei Jahren stabil.
Ein weiteres Problem ist die zunehmende Gewalt gegen das Zugspersonal. Letztes Jahr wurden 200 Anzeigen wegen verbaler und physischer Gewalt erstattet. Die SBB haben daraufhin ihren Angestellten Kurse für den Umgang mit gewalttätigen Passagieren angeboten.
Zudem belasten Schwarzfahrer das Budget. Gegen die 3,2% Schwarzfahrer, welche jährlich Ausfälle von rund 40 Mio. Franken verursachen, soll härter vorgegangen werden.
Kameras gegen Gewalt
Um die Sicherheit in den Zügen zu erhöhen, wollen die SBB nun in den Zügen Videokameras installieren. Ein entsprechender Versuch läuft seit Frühling 2001 in der Westschweiz. Zwischen Lausanne und Genf verkehrt eine Komposition mit sechs Wagen, die mit insgesamt 24 Kameras bestückt sind.
Die Resultate von Lausanne bestätigen das Vorhaben der SBB. «Der Vandalismus ist um mindestens 80% zurückgegangen», sagt Jean-Louis Scherz, Westschweizer SBB-Sprecher. «Seit die Kameras im Zug installiert sind, gab es nicht einen einzigen Vorfall, der genügend schwer wiegend gewesen wäre, um ihn der Polizei zu melden.»
Der Versuch kostet die SBB 450’000 Franken und dauert noch bis Ende Herbst. Ob es sich lohnen würde, überall Kameras einzusetzen, ist noch offen. Die SBB möchten aber mehr Züge mit Kameras ausrüsten, was auch die Kosten pro Zug senken würde.
Eingriff in die Privatsphäre
Die permanente Videoüberwachung benötigt jedoch eine gesetzliche Grundlage. Eine solche wird gegenwärtig vom Bund ausgearbeitet und muss dann noch vom Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten geprüft werden. Geregelt werden müssen vor allem die Aufbewahrungszeit der Aufnahmen sowie die Frage, wer auf sie Zugriff hat. Grundsätzlich ist aber Videoüberwachung datenschutzrechtlich zulässig.
Kosmas Tsiraktopulos, Sprecher des Datenschutzbeauftragten, räumt ein, dass die Kameraüberwachung für die Beweisführung sinnvoll sei. Er bleibt aber dennoch skeptisch: «Man darf nicht vergessen, dass die Videoüberwachung einen massiven Eingriff in die Privatsphäre und Bewegungsfreiheit darstellt.»
Kein Wundermittel
Gewalt sei eine komplexe Angelegenheit und die Kameras kein Wundermittel. Die Videoüberwachung führe zudem zu einer Verschiebung der Gewalt. Die Vergewaltigung finde dann nicht im Zug, sondern auf der Strasse statt.
In England, wo die Videoüberwachung sogar auf öffentlichen Plätzen exzessiv praktiziert werde, hätten die Gewaltdelikte zuerst rapide abgenommen, sich dann nach an andere Orte verschoben und seien heute wieder auf dem gleichen Stand wie vor der Überwachung, gibt der Datenschützer zu bedenken.
Die Gewaltbereitschaft sei ein soziales Phänomen, dem nur durch vermehrte Prävention begegnet werden könne, meint auch SBB-Sprecher Baumann. Dennoch setzen die SBB vorerst auf die Kameras und nicht auf mehr Zugsbegleiter. «Es gibt keinen fassbaren Zusammenhang zwischen der sichtbaren Präsenz des Zugpersonals und der Gewalt in den Zügen, nur die Augen der Kameras sind allgegenwärtig.»
swissinfo
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