Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die Schule erinnert an die Shoa

Januar 1945, einige Tage nach der Befreiung des KZ Auschwitz. Die Kinder tragen noch die Häftlingskleider. Keystone Archive

Das Gedenken an den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist auch ein Thema in den Schweizer Schulen.

Für Johanne Gurfinkiel von der interkommunalen Koordination gegen Antisemitismus und Diffamierung, ist die Arbeit in den Schulen entscheidend.

2004 hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) in den Schulen einen Gedenktag an die Shoa eingeführt. Dieser ist am 27. Januar, dem Tag der Befreiung der Überlebenden im Konzentrationslager Auschwitz.

Die in Genf ansässige interkommunale Koordination gegen Antisemitismus und Diffamierung (CICAD) hat sich dem Kampf gegen das Vergessen verschrieben. Sie arbeitet in der Westschweiz aktiv mit Schulbehörden zusammen, um die Schülerinnen und Schüler zu informieren.

swissinfo: Was ist die Bedeutung dieses Tages?

Johanne Gurfinkiel: Es ist ein Tag, der zur Erinnerung an die Zwangsverschleppten des II. Weltkriegs aufruft. Es ist auch ein Tag der Besinnung und der Arbeit für mehr Toleranz.

swissinfo: Macht die Schule genug, damit die Shoa nicht vergessen geht?

J.G.: Es gibt Unterschiede zwischen Kantonen, Schulen, Klassen und Lehrpersonen. Je nach Interesse eines Lehrers für diese Periode sind seine oder ihre Lektionen mehr oder weniger intensiv und interessant.

Doch wir stehen in Kontakt mit verschiedenen Kantonen und Lehrern, die den Wunsch geäussert haben, vorab Informationen zu erhalten und an unseren Informationsveranstaltungen teilzunehmen.

swissinfo: Warum gibt man dieser historischen Periode so viel Gewicht, und nicht einer anderen?

J.G.: Diese Frage kommt immer wieder. Muss man eine Art Selektion der Genozide machen? Das ist weder der Fall noch unser Wunsch.

Ganz einfach kann man sagen, dass wir es hier mit einem Zeitabschnitt der europäischen Geschichte zu tun haben, der alle europäischen Bürgerinnen und Bürger betrifft.

Klar, es war eine schwierige Zeit und die Narben sind noch sichtbar. Doch gerade wegen Gewalt und Intoleranz, wegen der Hartnäckigkeit des Rassismus und des Antisemitismus ist es entscheidend, diese Periode in den Köpfen der Schüler wach zu halten.

swissinfo: Ihre grosse Angst ist das Vergessen. Wenn man das grosse mediale Interesse am 60. Jahrestag sieht, ist dies doch unbegründet…

J.G.: Das ist wahr. Doch das Interesse ist nur an die Aktualität gekoppelt. Ich denke nicht, dass es zum 61. oder 62. Jahrestag eine derart grosse Öffentlichkeit gibt. Vielleicht wieder zum 70. oder zum 100. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Jedes Jahr sind wir wieder mit einer Generation konfrontiert, die nichts oder immer weniger von der Shoa weiss. Die Jungen sollten diese Periode kennen lernen, um besser mit Problemen wie Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus umgehen zu können.

Es ist ebenso wichtig, gegen die Verharmlosung dieser Zeit zu kämpfen, die im Internet verbreitet wird.

Denn wenn ein Schüler die Shoa studieren will, sucht er heute oft nach Informationen im Netz. Da wird er auch auf Seiten stossen, welche die Shoa als eine organisierte Erfindung des «internationalen Judentums» bezeichnen.

Daher ist es äusserst wichtig, dies richtig zu stellen und an die wahre Geschichte zu erinnern.

swissinfo: Im Kampf gegen das Vergessen setzen Sie auf Augenzeugenberichte der Befreiten. Doch diese werden immer weniger.

J.G.: Wir arbeiten tatsächlich mit ehemaligen KZ-Gefangenen, die in die Schulen kommen. Doch parallel dazu produzieren wir auch Dokumentationen.

Wir haben dieses Jahr eine Zusammenfassung über Auschwitz und die Shoa publiziert. Das Buch ist schon an den Schulen; wir hatten eine enorme Nachfrage nach dieser Produktion.

Auch im Bildbereich arbeiten wir an der Konservierung. So haben wir anlässlich einer Reise nach Auschwitz einen Film mit Augenzeugenberichten von Überlebenden gedreht. Er wird in den Schulen und am Fernsehen gezeigt werden.

swissinfo-Interview: Olivier Pauchard
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Das KZ Auschwitz (Polen) war das grösste aller Konzentrationslager
1940 wurde es eröffnet, am 27.1.1945 von den Russen befreit
1,1 Millionen Menschen wurden ermordet, davon 90% Juden
Insgesamt hatten die Nazis über 6 Millionen Menschen umgebracht; hauptsächlich Juden, aber auch Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Behinderte, russische Kriegsgefangene und Leute aus dem Widerstand

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft