Die Schweiz – auch ein Auswanderungsland
Praktisch in jedem Land der Welt leben heute Schweizer. Fast jeder Zehnte mit einem roten Pass lebt im Ausland. Und jährlich werden es mehr.
Vor der Abreise muss aber einiges geregelt und vorbereitet werden, ansonsten kann sich das verhängnisvoll auswirken.
Seit Jahrhunderten haben Menschen die Schweiz verlassen, sei das aus existentieller Not, aus Abenteuerlust oder dem Ruf der Liebe folgend.
Andere Staatsangehörige wanderten auch, sagt Rudolf Wyder, Direktor der Auslandschweizer-Organisation (ASO). Die Schweiz habe jedoch eine der grössten Auslandbürger-Gemeinschaften. «Im Inland ist es zu wenig bewusst, dass wir nicht nur ein Einwanderungs-, sondern auch ein Auswanderungsland sind.»
Heute zählt die Fünfte Schweiz über 620’000 Mitglieder und entspricht damit etwa einem mittelgrossen Kanton. Statistisch erfasst werden die Auslandschweizer seit 1926. Damals lebten gut 280’000 Schweizer Bürger im Ausland. Während des Zweiten Weltkriegs ging die Zahl drastisch zurück, erst in den 60er-Jahren stieg sie wieder kontinuierlich an.
Auswanderung und Rückwanderung
Im letzten Jahr wuchs die Fünfte Schweiz um rund 10’000. Dies sei aber nicht einfach auf die Auswanderung zurückzuführen, betont Rudolf Wyder. «Auslandschweizer-Familien haben Kinder, dann könnten sich Ehepartner mit der Zeit erleichtert einbürgern.» Ein Grossteil der Auslandschweizerinnen und –schweizer sind Doppelbürger.
Die Auswanderung wird durch die Rückwanderung von Landsleuten fast wieder kompensiert. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der Frauen im Ausland mit 60% deutlich grösser ist als in der Schweiz. Zudem ist die Fünfte Schweiz im Durchschnitt jünger als die Schweiz.
Das mag auch darauf zurückzuführen sein, dass immer mehr junge Leute für ein paar Jahre im Ausland studieren, forschen, berufliche Erfahrungen sammeln oder künstlerisch tätig sind.
Rudolf Wyder hat seit Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der EU über Personenfreizügigkeit keine sprunghafte Zunahme der Auslandschweizer-Bestände in den EU-Staaten feststellen können. «Eine leichte Zunahme, aber keine Auswanderungswelle.»
Flucht an die Sonne
Im Trend liegt seit einigen Jahren auch die Auswanderung nach der Pensionierung. Die Menschen, auch die älteren, sind mobiler und gesünder geworden.
Besonders beliebt sind laut dem Altersmigrations-Experten Andreas Huber die spanische Costa Blanca, die Balearen, die portugiesische Algarve, Zypern, Brasilien, aber auch Thailand, Ungarn und Kroatien.
Auch im Piemont, in der Toskana und Südfrankreich sind viele Auslandschweizer zu finden, auch solche, die schon lange dort leben. Laut Huber verschlägt es dorthin eher «Aussteiger», Künstler und Idealisten, die etwas Authentisches suchen und ihre Häuser selber renovieren.
Viele der Auswanderer sind auf der Suche nach dem Paradies, wollen der Kälte oder der Enge der Schweiz entfliehen oder hoffen, für den Rentenfranken im Ausland mehr zu bekommen.
Seriöse Vorbereitung
ASO-Chef Wyder rät allen Auswanderungswilligen, ihren Entscheid nicht übers Knie zu brechen. «14 Tage Ferien sind noch kein Argument, sich definitiv niederzulassen, man sollte einige Wochen oder Monate im Zukunftsland verbringen und sich auch sprachlich akklimatisieren.»
Wichtig sei auch, so Wyder, sich vor der Abreise zu informieren, ob die Krankenkassen-Mitgliedschaft weitergeführt werden kann und wie es mit der Altersvorsorge sowie mit anderen Versicherungen steht. Und: Wer auswandert, muss sich beim Konsulat im neuen Land immatrikulieren. «Das ist die Nabelschnur zur Schweiz.»
Wenn der Traum zum Alptraum wird
Auch das Budget bedarf einer Prüfung. «Man muss ein Polster haben, sonst kann das Abenteuer misslingen.»
Laut Botschafter Peter Sutter vom Auslandschweizer-Dienst im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) können sich Landsleute im Ausland, die in Schwierigkeiten geraten, an die diplomatischen Vertretungen wenden.
«Es wird dann abgeklärt, ob eine Rückführung eingeleitet werden soll oder ob die Schweizer Staatsangehörigen im Ausland finanziell unterstützt werden.»
Die ewige Heimat
Die meisten Auslandschweizer bleiben mit der Schweiz verbunden, auch wenn sie den Begriff Heimat ganz unterschiedlich definieren. Für die einen ist Heimat ein abstrakter Begriff, für andere liegt sie dort, wo man lebt, für dritte ist sie identisch mit dem Herkunftsland.
Die meisten besuchen die Schweiz immer wieder. Auch wenn sie ab und zu von ihrer Heimat träumen, äussern viele aus der Ferne auch kritische Gedanken in Bezug auf ihr Ursprungsland.
swissinfo, Gaby Ochsenbein
2004:
623’057 Auslandschweizer
Davon 60% in EU-Ländern
Am meisten Auslandschweizer leben in Frankreich: 166’199
Grösste Gemeinde ausserhalb der EU: USA mit 71’419
442’643 Doppelbürger
100’421 über 65-jährig
475’340 Stimm- und Wahlberechtigte
95’325 für Stimmrecht registriert
Wer auswandert, muss sich in der Schweiz abmelden und beim zuständigen Konsulat im Ausland anmelden.
Zudem sollten sich Auswanderungswillige bei ihrer Krankenkasse, der Pensionskasse sowie der AHV über die Folgen informieren.
Die Schweiz hat mit über 30 Staaten, darunter allen EU/EFTA-Staaten, Sozialversicherungs-Abkommen abgeschlossen.
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