Die Schweiz gegenüber der EU in Abwehrstellung
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey wehrt sich gegen den Druck Deutschlands und anderer EU-Länder auf das Schweizer Bankgeheimnis. Und Lücken bei der Zinsbesteuerung seien kein Problem der Schweiz.
Economiesuisse-Präsident Bührer rechnet seinerseits mit einer langen und harten Auseinandersetzung im Steuerstreit der Schweiz mit der EU.
«Wir sind keine Steueroase», sagte die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zur jüngsten Kontroverse um die Steuerflucht aus Deutschland. Die Schweiz habe auch nicht das gleiche Stiftungsrecht wie Liechtenstein, erklärte Calmy-Rey in einem Interview der «SonntagsZeitung».
Zu den Plänen der Europäischen Union (EU), die Zinsbesteuerungsrichtlinie zu verschärfen und dabei den Drittstaat Schweiz in die Pflicht zu nehmen, verwies Calmy-Rey auf die zwischen der Schweiz und der EU ausgehandelten bilateralen Verträge. Die Frage der Zinsbesteuerung sei darin langfristig geregelt.
Nicht unser Problem
Zur Kritik, wonach der an die EU überwiesene Steuerrückbehalt zu tief sei, sagte die Aussenministerin, 2006 habe die Schweiz eine halbe Milliarde Franken abgeliefert und 2007 dürften es noch mehr sein. «Wenn die EU-Länder dieses Geld nicht wollen, können wir es gerne für unsere Entwicklungszusammenarbeit verwenden», sagte Calmy-Rey.
Sie erinnerte an die harten Verhandlungen mit der EU und sagte: «Wenn es Lücken gibt, ist dies nicht unser Problem. Unser Bankgeheimnis ist in verschiedenen Verträgen mit der EU abgesichert. Es besteht kein Handlungsbedarf.»
Zum Streit mit der EU über die Besteuerung mobiler Kapitalgesellschaften sagte die EDA-Chefin, die Schweiz wolle wettbewerbsfähig bleiben und dafür wenn nötig autonom auch Reformen anpacken.
Distanz zur eigenen Partei
Calmy-Rey ging mit ihren Aussagen zum Bankgeheimnis und zu weiteren Steuersenkungen zu Gunsten der Wirtschaft auch auf Distanz zur eigenen Partei.
Die Sozialdemokratische Partei (SP) hat soeben Vorstösse eingereicht, mit denen sie das Bankgeheimnis im Bereich der Steuerhinterziehung aufheben will.
Economiesuisse-Präsident sieht lange Auseinandersetzung
Im Steuerstreit mit der EU rechnet Gerold Bührer, Präsident von economiesuisse, mit einer langen und harten Auseinandersetzung. Die Schweiz sei aber derart eindeutig im Recht, dass sie aus staatspolitischen Gründen nicht nachgeben dürfe.
Lenkte die Schweiz ein, würde die EU künftig versuchen, der Schweiz auch in anderen Bereichen ihre Rechtsordnung überzustülpen, warnte der Präsident des Wirtschaftsdachverbands in einem Interview der «NZZ am Sonntag». Das Freihandelsabkommen, auf das die EU sich im Steuerstreit beruft, habe mit der Besteuerung von Holdings und anderen kantonalen Spezialregimen nichts zu tun.
Schweiz in Misskredit gebracht
Bührer bekräftigte zudem seine Kritik am deutschen Finanzminister Peer Steinbrück, der die Schweiz als einer der «Steueroasen» in Europa bezeichnet hatte, denen die EU den «Kampf» ansagen wolle. Economiesuisse veröffentlichte am Freitag einen Offenen Brief in mehreren Zeitungen, in dem sich der Verband scharf gegen diesen Vorwurf zur Wehr setzte.
Steinbrück habe «den Rubikon überschritten», sagte Bührer. «Dagegen müssen wir Stellung beziehen.» Immerhin habe mit Steinbrück ein amtierender Finanzminister die Schweiz in Misskredit gebracht.
Deutschland müsse zur Kenntnis nehmen, dass die Schweiz zahlreiche Anstrengungen unternommen habe. Es gebe ein Betrugs- und Zinsbesteuerungs-Abkommen mit der EU, die Schweiz habe die Rechtshilfe ausgebaut und sei Spitze im Kampf gegen Geldwäscherei.
Kontakte mit steuergünstigen Ländern
Aus Sicht von Bührer hat sich Deutschland im Steuerbereich in eine Richtung bewegt, die Konflikte schafft.
«Hier müssen wir auf andere Länder zugehen.» Die Schweiz tue gut daran, mit den steuergünstigen Ländern in der EU, beispielsweise Österreich, gute Kontakte zu unterhalten.
swissinfo und Agenturen
Das Schweizer Bankgeheimnis soll den Zugang zu Informationen über Bankkunden durch Dritte verhindern, ob privat oder offiziell. Die Banken sprechen vom Bankkundengeheimnis.
Das Bankgeheimnis kennt aber auch Grenzen: Es wird beim Verdacht auf kriminelle Aktivitäten gelüftet, im Fall von Verdacht auf Steuerhinterziehung jedoch nicht.
In der Schweiz gibt es seit Jahrzehnten keine anonymen Bankkonten mehr. Dies entgegen der weit verbreiteten Meinung.
In der Schweiz wird zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug unterschieden. Die Steuerhinterziehung gilt als einfache Steuerwiderhandlung. Steuerpflichtige «vergessen» in diesem Fall, ein Vermögen oder ein Einkommen zu deklarieren.
Beim Steuerbetrug handelt es sich hingegen um eine qualifizierte Steuerwiderhandlung. Bei diesem Delikt reicht der Steuerpflichtige gefälschte Dokumente (zum Beispiel Lohnausweise, Liegenschafts- oder Wertschriftenverzeichnis) ein, um die Steuerbehörde zu täuschen.
Die Steuerhinterziehung wird im Falle einer Aufdeckung nur mit einer Busse bedacht, dagegen droht bei Steuerbetrug eine Freiheitsstrafe. Das Bankgeheimnis wird bei Steuerhinterziehung nicht aufgehoben.
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