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Die Schweiz im Visier italienischer Anarchisten

Anarch-Terroristen sollen für das Attentat von Abetone verantwortlich sein. Keystone

Anschläge in der Toskana beunruhigen die Schweiz. Dies, weil sich die Terroristen auf den Bündner Anarchisten Marco Camenisch beziehen, der im Kanton Bern in Haft ist.

Die Sicherheit vor den diplomatischen Vertretungen der Schweiz in Italien wurde verstärkt.

Letzten Montag sprengten Unbekannte die Einrichtungen der Seilbahn beim italienischen Winterferienort Abetone sowie Relais-Antennen an zwei anderen Orten.

Auf Mauern der gesprengten Einrichtungen fanden die Ermittler Graffiti, die Marco Camenisch verherrlichen, einen Schweizer Anarchisten aus Campocologno im Puschlav. Camenisch, der 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf entwichen war, wurde 1992 in Italien verhaftet, wo er ebenfalls gegen das Gesetz verstossen hatte.

Nach elf Jahren Zuchthaus in Italien war Camenisch am vergangenen 18. April an die Schweiz ausgeliefert worden. Camenisch wird verdächtigt, 1989 in Brusio (Graubünden) einen Grenzwächter erschossen zu haben.

Steigende Spannung

«Nach den jüngsten Ereignissen wurden die Sicherheitsmassnahmen verstärkt», erklärt der Schweizer Generalkonsul in Mailand, Marco Cameroni. «Seit Mittwoch-Abend steht die Polizei rund um die Uhr vor dem Schweizer Zentrum, wo unsere Büros liegen.»

«Auch wir machen uns Sorgen», führt Giancarlo Kessler von der Schweizer Botschaft in Rom aus. «Bereits letztes Jahr führten Anarchisten eine Demonstration vor unserer Botschaft durch. Es passierte zwar nichts, aber die Polizei war in Bereitschaft.»

Und fährt weiter: «Jetzt, mit dieser Sache mit Camenisch, zusätzlich zum WEF in Davos, wurde die Bewachung verstärkt.»

Die Wochenzeitung «Panorama» schrieb vor kurzem mit Bezug auf die Erklärungen der Digos (italienische Antiterror-Polizei) von Mailand, dass die Anarchisten Schweizer Einrichtungen in Italien wegen der Auslieferung von Camenisch im Visier haben könnten.

Eine Serie von Gewalttaten

Die italienische Polizei gab auf Anfrage von swissinfo keine offizielle Erklärung ab. Die Ordnungskräfte unseres Nachbarlandes lassen jedoch verlauten, dass sie die Sache genau beobachten, da sie eine neue Welle der Gewalt im Namen von Camenisch befürchten.

Laut «Panorama» hatten sich die Anarchisten bereits im vergangenen November, am Sozialforum in Florenz, für Camenisch stark gemacht. Die Polizei hatte daher das Schweizer Konsulat besonders bewacht.

Desgleichen am 13. September 2002, als Anarchisten durch ein Dutzend Städte, darunter Rom und Mailand, marschiert waren. Gleichentags demonstrierten Anarchisten vor der Schweizer Botschaft in Madrid.

Dazu kommen die jüngsten Ereignisse, welche die These einer möglichen Einschüchterungs-Strategie gegen die Schweiz erhärtet.

«Ebenfalls diese Woche wurden in Genua die Mauern des Gebäudes, in dem das Generalkonsulat untergebracht ist, und die angrenzenden Strassen mit Sprüchen (den gleichen wie in Abetone) zur Verherrlichung des Schweizer Anarchisten verschmiert», führt Cameroni aus.

Italienisch-schweizerische Zusammenarbeit

Die Bundesanwaltschaft gab nicht bekannt, ob sie ein mit den italienischen Behörden abgestimmtes Alarm-Dispositiv auf die Beine gestellt hat. Auch das Bundesamt für Polizei zeigte sich nicht sehr gesprächig.

Aus Bern verlautet immerhin, dass gemäss Wiener Konvention der Gaststaat für die Sicherheit der Botschaften und des ausländischen diplomatischen Personals verantwortlich sei. Dazu ergreifen die Staaten jene Massnahmen, die sie für nötig erachten. Eine Bewachung scheint auf jeden Fall angebracht.

Für den 1. Februar haben die Anarchisten ein ‹Sit-in› vor dem Schweizer Konsulat in Genua angekündigt.

swissinfo, Paolo Bertossa, Rom

1981 entweicht Marco Camenisch – Kampfname Martino – aus dem Gefängnis Regensdorf, wo er wegen Sprengstoffanschlägen auf Kraftwerkanlagen bei Bad Ragaz im Jahr 1979 zu einer 10-jährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Bei seiner Flucht wird ein Wärter getötet, ein weiterer schwer verletzt.

1989 tötet der Anarchist in Brusio, an der italienisch-schweizerischen Grenze im Puschlav, einen Zöllner.

Nach seiner Auslieferung wird Camenisch vorerst im Kanton Zürich inhaftiert. Seit dem 12. Dezember sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Thorberg bei Bern.

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