Die Schweiz ist nicht gefeit vor Korruptionsaffären
Die Korruption, derzeit Thema einer Konferenz in Den Haag, gerät in der Schweiz immer wieder mit prominenten Fällen in die Schlagzeilen. Über das wahre Ausmass wie auch die Mittel gegen Korruption sind die Strafrechtsexperten geteilter Meinung.
Auch wenn auf Bundesebene ein Sinneswandel stattgefunden habe, Korruption bleibe auf lokaler Ebene weitgehend ein Tabuthema, meint Anne Lugon Moulin von Transparency International (TI), einer Organisation von Korruptionsgegnern. TI veröffentlicht regelmässig eine Länderrangliste, welche die Bestechlichkeit von Beamten misst.
Jährlich 15 Verurteilungen
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Freiburg ergab für die Schweiz im Jahr durchschnittlich 15 Verurteilungen wegen Korruption. Diese Zahl möge relativ niedrig erscheinen; sie stelle jedoch bloss die Spitze des Eisberges dar, hielten die Autoren der Studie, Nicolas Queloz, Marco Borghi und Maria Luisa Cesoni fest.
In den letzten Jahren rückten einige Fälle ins Licht der Öffentlichkeit. Bei einem der gravierendsten Fälle kommt es am 18. Juni in Lugano zum Prozess gegen den Tessiner Ex-Richter Franco Verda. Er wird der Bestechlichkeit beschuldigt. Verda soll mit einem mutmasslichen Zigarettenschmuggelboss zu nahe in Berührung gekommen sein.
Im Oktober 1998 war der frühere Zürcher Chefbeamte Raphael Huber unter anderem wegen passiver Bestechung zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Huber hatte sich bei der Erteilung von Bewilligungen im Gastrobereich mehrfach bestechen lassen.
Vor kurzem eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Untersuchung wegen Korruption gegen fünf Personen, darunter ein Beamter des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Er soll gegen 30’000 Franken die Ausstellung falscher Rechnungen geduldet haben, die vom Bund bezahlt wurden.
Alltägliches Übel
Ein guter Teil der Affären komme gar nicht aufs Pult eines Richters, aus dem einfachen Grund, da sie nicht Gegenstand einer Klage seien, erklärt Anne Lugon Moulin von Transparency International (TI). Vetternwirtschaft gehört in der Schweiz laut TI zur Tagesordnung, gerade bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bausektor.
Die Organisation fordert, dass die Schweiz den Tatbestand Bestechlichkeit ins Strafgesetz aufnimmt. Dies könnte mit einer Ratifizierung der Strafrechtskonvention gegen Korruption des Europarates durch das Parlament geschehen. Der Bundesrat hatte die Konvention im Februar genehmigt.
Bereits genügend wirksam?
Dieses Thema ist umstritten bei den Strafrechtsexperten. Der Freiburger Nicolas Queloz empfahl die Erweiterung des Strafgesetzes. Die Genfer Professorin Ursula Cassani ist aber nicht überzeugt vom Nutzen dieses neuen Instruments.
Ihrer Meinung nach genügten die heutigen Gesetze, insbesondere da im Strafrecht seit Mai 2000 viel strengere Massnahmen in Kraft seien. Diese basierten auf der ratifizierten Konvention der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegen Korruption.
Die Schweizer Gesetze richteten sich schon gegen die offenkundigsten Fälle von Korruption. Im Bereich öffentlicher Arbeiten müssten laut Cassani die Regeln des Auftragswesens transparent gestaltet sein.
swissinfo und Federico Bragagnini (sda)
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