Die Schweiz muss ihren Einfluss auf die Welt steigern
Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat am Montag in Bern die jährliche Botschafterkonferenz eröffnet und dabei ihre Vorstellungen der aktiven Neutralität verteidigt.
Calmy-Rey bedauerte dabei den mangelnden Einfluss der Schweiz auf die internationale Politik und liebäugelte mit einer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat.
«Wer weiss, vielleicht sind wir eines Tages sogar selbstbewusst genug, um für einen Sitz im Sicherheitsrat zu kandidieren», sagte die Aussenministerin. Dies würde der Schweiz ein «ambitiöseres» politisches Engagement ermöglichen.
Ohne Einfluss im Sicherheitsrat zähle die Stimme der Schweiz in internationalen Krisen «nur wenig», fügte sie hinzu. Calmy-Rey plädierte auch für ein stärkeres militärisches Engagement bei internationalen Missionen zur Friedenserhaltung.
Ein «rein nationales Modell, das aus der Schweiz einen Ausnahmefall macht», sei im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr denkbar. «Scheinbar weit entfernte Konflikte können direkte Auswirkungen auf unser Land haben», sagte die Aussenministerin vor den Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten.
Völkerrecht vor Neutralität
Mit Blick auf den Libanonkrieg stellte sie klar: «Das humanitäre Völkerrecht hat einen grösseren Geltungsbereich als das Neutralitätsrecht.» Verletzt werde humanitäres Völkerrecht dann, wenn die Kriegsparteien den Unterschied zwischen Zivilpersonen und Kombattanten missachteten.
Deshalb dürfe die Schweiz im libanesisch-israelischen Konflikt zu Verstössen gegen das Völkerrecht nicht schweigen – genauso wie im Falle Sri Lankas oder des Sudans. Sonst würde «unsere Glaubwürdigkeit als neutraler Staat in Frage gestellt», sagte Calmy-Rey.
Die Dominanz der USA
Im internationalen Geschehen kritisierte die Aussenministerin die Machtlosigkeit der Europäischen Union (EU) und der Vereinten Nationen (UNO). Die Beispiele Irak, Libanon und Sudan seien Ausdruck dieser Machtlosigkeit. Im höchsten UNO-Gremium, dem Sicherheitsrat, sei zudem der «so genannte Westen» klar übervertreten.
Die Welt werde von der Grossmacht USA dominiert, sagte die Bundesrätin. Es sei nicht neu, dass die Amerikaner ihre Interessen «klar und offensiv» verteidigten.
«Neu sind aber das unilaterale Vorgehen (der USA) und die einfachen Argumente, als ob Argumente nicht besonders wichtig wären.» Dies zeige sich bei der Irak-Krise und in der US-Politik im Nahen Osten. Calmy-Rey geht davon aus, dass die USA ihre Vorgehensweise «mit ziemlicher Sicherheit» nicht ändern werden.
Bewusst schwache EU
Gegensteuer geben müsste eigentlich die Europäische Union, sagte Calmy-Rey: «Überall auf der Welt wartet man auf Europa. Leider nimmt die EU jedoch nicht den Platz und die Rolle ein, die man sich von ihr erhofft.» Der EU mangle es an eigener Geschlossenheit, kritisierte die Aussenministerin.
«Europa hat jedoch keine Zeit zu verlieren. Es ist eingeklemmt zwischen den USA auf der einen Seite sowie Indien und China auf der anderen Seite, deren demographisches und wirtschaftliches Wachstum die Weltordnung in Frage stellt», so Calmy-Rey.
swissinfo und Agenturen
Die dreitägige Botschafterkonferenz steht unter dem Motto «Machtpolitik – Einflusspolitik: Möglichkeiten und Grenzen einer Einflusspolitik».
An der Konferenz sind neben den Botschafterinnen und Botschaftern auch die Generalkonsulinnen und Generalkonsuln sowie die Leiterinnen und Leiter der Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) anwesend.
Zum Departement für auswärtige Angelegenheiten, EDA, gehört auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, DEZA.
Das Jahresbudget des EDA beträgt rund 2 Mrd. Franken.
Es beschäftigt rund 3000 Personen.
Die immerwährende Neutralität der Eidgenossenschaft geht zurück auf die Schlacht bei Marignano in Italien (1515), die sie gegen die Franzosen verloren hatte. Dies markierte das Ende der Militärpolitik der alten helvetischen Konföderation.
Am 20. November 1815 anerkannten die Vertragsstaaten des Wiener Kongresses die Neutralität der Schweiz.
Neutralität bedeutet im Bereich der Staatenwelt die Nichtbeteiligung an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten.
Die schweizerische Neutralität kennzeichnen heute drei Merkmale: sie ist selbst gewählt, dauernd (nicht mehr immerwährend) und bewaffnet.
1993 sagte sich der Bundesrat (Landesregierung) los vom Prinzip der «integralen» Neutralität. Seither kann die Schweiz auch multilaterale wirtschaftliche und sogar militärische Zwangsmassnahmen ergreifen.
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