Die Schweiz wird im Ausland immer weniger verstanden
Statt ihr Netz auszubauen, ziehe sich die Schweiz Schritt für Schritt zurück. Das führe zu Disharmonie mit Drittländern. Nötig sei nun ein nachhaltig geführter Dialog, fordert die Auslandschweizer Gemeinde Deutschlands an ihrer Jahreskonferenz in Breisach.
Etwa 60 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kamen in die kleine Grenzstadt bei Freiburg im Breisgau, weit weniger als zur letztjährigen Jahresversammlung in Rostock. Vielleicht sei dies eine Folge der Wirtschaftskrise, vermutet Elisabeth Michel, Präsidentin der Auslandschweizer-Organisation (ASO) Deutschland, vielleicht auch, weil die Jahreskonferenz schon mehrmals in dieser Gegend stattgefunden habe.
Jedenfalls erlebten jene Vertreter der Fünften Schweiz, die den Weg ins deutsch-französische Grenzgebiet fanden, neben einem Gang durch die elsässische Festungsstadt Neuf-Brisach und einem Besuch des Badischen Winzerkellers, engagierte, witzige und auch hitzige Debatten.
Die Schweiz geht vergessen
In Anwesenheit dreier Nationalräte sowie je eines Vertreters des Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA und der Schweizer Botschaft in Berlin wurde über den Dialog mit den Nachbarländern sowie die Vor-Ort-Kompetenz der Auslandschweizer und deren Nutzung durch die Schweiz debattiert.
Nicht mehr Musterknabe sei die Schweiz, sondern Prügelknabe, betont Peter Kaul, Vizepräsident der ASO Deutschland und Honorarkonsul aus Dresden. Die Schliessung von Generalkonsulaten (Dresden 2006, Hamburg 2009) wirke sich nicht nur negativ auf die Auslandschweizer aus, sondern auch auf den Dialog mit dem Ausland. Das führe dazu, dass die Schweiz falsch verstanden oder gar nicht mehr wahrgenommen und unser System immer weniger respektiert werde.
Dass das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland wegen der Diskussion um Steuerflüchtlinge und Bankgeheimnis sowie deplatzierten Äusserungen beider Seiten stark angeschlagen ist, bekommen die Auslandschweizer besonders zu spüren und bringen es in Breisach immer wieder zur Sprache.
«Diese Disharmonie darf uns nicht egal sein. Denn jeder zweite Schweizer Franken stammt aus dem Export», erklärt Kaul. Er schlägt vor, mehr Honorarkonsule zu ernennen und zusammen mit Vereinen und Wirtschafsinteressenverbänden sowie Institutionen wie der Kulturstiftung Pro Helvetia, der Image-Agentur Präsenz Schweiz und der Wirtschaftsförderung Osec ein dichtes Netzwerk zu errichten.
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ASO
Umbau, nicht nur Abbau
Die Einsetzung zusätzlicher Honorarkonsule und die Partizipation von Nichtregierungs-Stellen stösst allgemein auf positives Echo. Auch Botschaftsrat Urs Hammer aus Berlin bezeichnet den Ausbau des Honorarkonsulen-Netzes als prüfenswerte Option, mit der gewisse Lücken geschlossen werden könnten.
Gleichzeitig sprach er den Auslandschweizern seine Anerkennung aus für ihren «unverzichtbaren Beitrag als Brückenbauer. «Sie bereiten das Terrain und die Kontakte vor, in einer Zeit, in der die Herausforderungen gestiegen sind.»
Ernst Steinmann, Chef des Konsularischen Schutzes im EDA, versucht, den Auslandschweizern in Deutschland ihre «europäischen Scheuklappen» etwas zu lockern. «Es gibt Auslandschweizer in aller Welt. Infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und Jugoslawiens sind neue Staaten entstanden. Wir heben nicht nur diplomatische Vertretungen auf, sondern haben auch viele neue Botschaften errichtet.»
Provinz Schweiz
Als grossen Nachteil für die exportorientierte Schweiz bezeichnet der Basler Nationalrat Rudolf Rechsteiner von der Sozialdemokratischen Partei (SP) die Schweizer Absenz in Brüssel: «Die Länder der Europäischen Union stehen untereinander in intensivem Dialog, und die Schweiz merkt es nicht einmal. Wir leiden an einem enormen Defizit an Wissen und Mitwirkung, zum Beispiel in der Wissenschaft.»
Den Eindruck der Auslandschweizer, die Schweiz werde nicht wahrgenommen, könne er nur bestätigen, sagt Toni Brunner von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und plädiert für ein kohärentes und selbstbewusstes Auftreten der Schweiz.
«Die Schweiz hat keine starken Persönlichkeiten, die werden bei uns abgewählt», witzelt der Toggenburger und sorgt für Erheiterung. Zudem sei die Aussenpolitik in den letzten Monaten keine Interessenspolitik für den Standort Schweiz gewesen, sondern habe sich in diversen Auftritten oder Selbstinszenierungen der Aussenministerin verloren.
«Die Schweiz muss ihre Netzwerke nutzen, den Dialog mit den Nachbarstaaten fördern, auch über die dort ansässigen Schweizerinnen und Schweizer.»
Harte Zeiten in der Krise
Als Grund für den schwierigen Dialog mit den Nachbarländern sieht der freisinnige Nationalrat Markus Hutter die ausserordentlichen Faktoren im Zusammenhang mit der globalen Krise:
«Wir sind ein kleines und reiches Land. Nachbarn und andere haben es auf uns abgesehen. Plötzlich wird die Tonlage anders und die Amtshilfe neu definiert.»
Man müsse jetzt reden und nicht länger die beleidigte Leberwurst spielen, meint SP-Nationalrat Rechsteiner. Schliesslich sei Deutschland wirtschaftlich über lange Zeit die wichtigste Stütze der Schweiz gewesen.
Und unverzichtbar in diesem Dialog sind eben auch die vielen kleinen Schweizer Botschafter in aller Welt – oder die Brückenbauer, wie Albert J. Küng aus München sagt. «Nur dass wir heute Steinbrücken bauen müssen.»
Gaby Ochsenbein, Breisach, swissinfo.ch,
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Fünfte Schweiz
In Deutschland leben rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer.
46’800 sind Doppelbürger.
Rund 3000 in Deutschland lebende Schweizer sind in Vereinen organisiert. Das sind 240 oder 8% weniger als im Jahr zuvor.
Insgesamt gibt es in Deutschland 40 Schweizer Vereine und Clubs.
Der jüngste Verein ist Ortenau in Baden Württemberg. Er existiert seit März 2009 und zählt 35 Mitglieder.
Am Kongress in Breisach waren rund 60 Auslandschweizerinnen und -schweizer aus 25 Schweizer Vereinen präsent.
Die Jahresversammlung 2010 findet in Braunschweig, Niedersachsen, statt.
1990: Casablanca
1993: Lomé
1995: Bregenz, Le Havre, Dijon, Curitiba
1996: Freiburg, Windhoek
1998: Annecy, Nizza, Besançon, Palma de Mallorca, Malaga
2000: Venedig
2003: Johannesburg
2004: Mülhausen
2005: Manchester, Amsterdam
2006: Dresden, Las Palmas, Melbourne, Houston
2007: Neapel
2008: Bordeaux
2009: Hamburg
Die deutsche Grenzstadt Breisach am Rhein hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie wurde mehrfach zerstört, im Zweiten Weltkrieg zu 85%.
Am 9. Juli 1950 sprachen sich die Breisacher als erste in Europa in einer Abstimmung mit 96% der Wählerstimmen für ein einiges und freies Europa aus. Deshalb trägt die Stadt den Ehrentitel «Europstadt».
Neuf-Brisach, auf der anderen Seite des Rheins im französischen Elsass gelegen, wurde an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vom Militärarchitekten Vauban als Festung erbaut und ist bis zum heutigen Tag fast vollständig erhalten.
Die Festungsstadt Neuf-Brisach ist seit Juli 2008 UNESCO Weltkulturerbe.
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