Die Schweizer Wurzeln von Juventus und Torino

Sie hiessen Alfred Dick und Edoardo Bosio. Die beiden fast unbekannten Schweizer Unternehmer haben im 19. Jahrhundert die Leidenschaft für den Fussball nach Turin gebracht. Dank ihrer Unternehmenslust entstanden der FC Juventus und der FC Torino.
Dass Fussball in Italien Nationalsport Nummer eins ist, weiss jedermann. Wenige jedoch wissen, dass die Leidenschaft für den Fussball vor allem dank ausländischen Unternehmern entstand, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Fussballmannschaften gründeten.
Im Piemont ist die Geschichte der beiden Clubs Juventus Turin und FC Torino eng mit den Namen von zwei Schweizer Staatsbürgern verbunden: Alfred Dick und Edoardo Bosio. Der Journalist Marco Traverso schildert swissinfo.ch in einem der historischen Lokale im Zentrum Turins deren Abenteuer.
Der Mythos von der Sitzbank
«Die Legende besagt, dass Juventus 1897 von einigen Studenten des Liceo classico Massimo d’Azeglio gegründet wurde, auf einer Sitzbank auf dem Corso Re Umberto», sagt Traverso. «Das Gymnasium ist ein Symbol für die Oberschicht Turins, in dem auch Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Primo Levi, der Dichter Cesare Pavese oder der Verleger Giulio Einaudi die Schulbank drückten.»
Unter den Gründern waren auch die Schweizer Industriellen Alfred Dick und Edoardo Bosio, dessen Familie die erste Bierbrauerei in Turin und eine der bekanntesten Baumwollfabriken im Piemont gründete. «Es scheint, dass Edoardo Bosio aus England nicht nur die Liebe zum Fussball – ursprünglich als Rugby-Variante entstanden – mitbrachte, sondern auch einen gewissen Ball aus Leder, ein damals in Italien fast unbekanntes Objekt.»
Alfred Dick seinerseits war nicht nur Mitbegründer von Juventus Turin, sondern von 1905 bis 1906 auch Präsident des Clubs. Dabei erlaubte er den «Bianconeri», deren Trikots schwarz-weiss sind, damals allerdings noch rosa waren, im Velodrom Umberto I. zu spielen.
«Zu dieser Zeit waren mehrere Fussballspieler gebürtige Schweizer, Unternehmer oder Angestellte von Baumwoll- oder anderen Fabriken. Sportliche Tätigkeit war allerdings nur einer gewissen beschränkten Elite vorbehalten. Damals gab es noch keine Vorstellung von Berufs- oder Hochleistungssportlern, wie wir sie heute kennen», sagt Traverso.
FC Torino – eine Abspaltung
1906 trifft Juventus Turin im Meisterschaftsfinale auf AC Milan. Die «Bianconeri», die auswärts in der lombardischen Metropole Mailand spielen müssen, weigern sich, den Fussballplatz zu betreten. Sie beschuldigen die Gastgeber, das Feld verunstaltet zu haben. Juventus verliert das Finalspiel – und damit auch die Möglichkeit auf den Meistertitel am grünen Tisch.
«Diese Episode hatte unter der Führung des Clubs zu grosser Missstimmung geführt. Alfred Dick beschliesst, Juventus zu verlassen und einen anderen Turiner Stadtclub zu gründen. Am Abend des 3. Dezembers1906 wird in der Bierstube Vogt der FC Torino geboren. Für die Farbe des Trikots wird Granatrot ausgewählt – zu Ehren des Genfer Fussballclubs Servette,» so Marco Traverso.
Zum Präsidenten des neuen Turiner Clubs wird ein weiterer Schweizer Unternehmer gewählt, nämlich Hans Schoenbrod. Er galt als «Spieler mit bescheidenen Fähigkeiten», jedoch als «leidenschaftlicher Führer», wie auf der Site des FC Torino zu lesen ist.
«Verschiedene Schweizer Spieler folgen Alfred Dick in dieses neue Abenteuer, wie zum Beispiel Friedrick Bolinger und Walter J. Streule, der wegen seiner physischen Präsenz und Spielvision von vielen als Prototyp des modernen Fussballers betrachtet wurde», erzählt Traverso.
Auch in der heutigen Zeit gibt oder gab es Schweizer Fussballer im Dress von Torino und Juventus: Blerim Dzemaili spielte bei Torino, und Stephan Lichtsteiner erspielt sich bei Juventus derzeit Bestnoten. » Im Sommer 2011 war Juventus fast dabei, den Schweizer Mittelfeldspieler Gökhan Inler von Udinese zu kaufen, doch das Geschäft platzte in letzter Minute, weil Napoli besser verhandelte.»
Nicht nur Fussball
Die Verbindung zwischen der Schweiz und dem Sport im Piemont beschränkt sich nicht nur auf den Fussball. «Schon 1844 wurde auf Initiative des Zürchers Rodolfo Obermann die Società ginnastica Torino (heute Reale ginnastica), der erste Turnverein dieser Art in Italien geründet», sagt der Ingenieur Franco Schellenbaum, Ex-Präsident der Auslandschweizer-Vereinigung in Italien, gegenüber swissinfo.ch.
Obermann war 1834 nach Turin gekommen, und zwar auf Einladung von König Carlo Alberto als Turnlehrer an der Militärakademie. «Der König bewunderte die Ausbildungsmethoden der Schweizer Garden am Hof Savoyens und wollte sie auf das sardische Heer ausweiten.
Unter anderem dank der Società ginnastica Torino verabschiedete das italienische Parlament den obligatorischen Turnunterricht an den Schulen. Dadurch wurde eine bisher elitäre sportliche Betätigung populär gemacht.
Auf der Liste der von Schweizern im Piemont praktizierten Sportarten durfte der Skisport natürlich nicht fehlen. So gilt Adolfo Kind, der 1891 nach Turin kam, auch heute noch als einer der Pioniere dieses Sports in Italien. Als Liebhaber der Berge gründete Kind 1901 den ersten italienischen Skiclub in Turin. Und fünf Jahre später gründete er die erste Berghütte in Sportinia.
Pier Paolo Pasolini
«Fussball ist die letzte Repräsentation des Heiligen in unserer Zeit. Ein grundlegender Ritus, auch wenn es dabei um Ablenkung geht. Andere heilige Handlungen, sogar die Messe, sind im Niedergang begriffen, nur der Fussball ist uns noch geblieben.»
Alessandro Baricco
«…für die meisten von uns ein Nervenkitzel in Pyjama und Bademantel, die kalten Füsse auf der Suche nach Pantoffeln, den Geschmack der Müdigkeit im Mund und halb zugefallene Augen. Ein ähnlicher Zustand wie im Traum…»
Eugenio Montale
«Ich träume davon, dass eines Tages niemand mehr auf der ganzen Welt Tore schiessen wird.»
Eduardo Galeano
«So sehr ihn die Technokraten bis in die letzte Einzelheit programmieren, so sehr ihn die Mächtigen auch manipulieren, will der Fussball doch immer die Kunst des Unvorhergesehenen sein.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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