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Die Solidarität der Frauen mit Opfern von Solferino

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Es waren vor allem Frauen und Mädchen, die nach der Schlacht von Solferino die Tausenden verwundeten Soldaten notdürftig versorgten. In seinem Buch "Eine Erinnerung an Solferino" ehrt Henry Dunant die Arbeit und Solidarität der Frauen von Castiglione.

«Ehre sei diesen mitleidigen Frauen, diesen jungen Mädchen von Castiglione! Es gab nichts, was sie zurückgeschreckt, erschöpft oder entmutigt hätte. Ihre bescheidene Hingebung kannte keine Müdigkeit und keinen Ekel; kein Opfer war ihnen zuviel.»

Das schreibt Henry Dunant in seinem Buch «Eine Erinnerung an Solferino», das der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) vorausging.

Dunant ist beeindruckt von der Solidarität der Frauen von Castiglione delle Stiviere, die nach der blutigen Schlacht von Solferino 1859 «allen Soldaten, die ihnen völlig fremd sind, das gleiche Wohlwollen zuteil werden lassen».

Sie waren es, die die Tausenden von Verletzten notdürftig versorgten – gleich welcher Seite sie angehörten.

Strassen, Plätze, Kirchen und Häuser wurden behelfsmässig zu Hospitälern umfunktioniert, während immer mehr Verletzte und Tote ins Dorf gebracht wurden.

Vom Zeugen zum Helfer

Der Genfer Geschäftsmann Henry Dunant traf am Abend des 24. Juni in Castiglione ein und wurde zufällig Zeuge der schrecklichen Situation nach der Schlacht von Solferino. Die Bilder des Grauens veränderten nicht nur sein Leben, sie führten auch zu einem neuen humanitären Bewusstsein.

«Imitiert, aber nie erreicht», steht auf einem Transparent, das in Castiglione über der Hauptstrasse hängt. Im Dom von Castiglione erinnert eine Gedenktafel an die wichtige Rolle, die die Kleinstadt im Zusammenhang mit der Rotkreuzbewegung spielte.

Castiglione ist stolz darauf, der Ursprungsort der Rotkreuzbewegung zu sein.

Zufall der Geschichte

«Der Zufall der Geschichte wollte es, dass es in Castiglione war, wo Henry Dunant zu seinem bekannten und legendären Buch ‹Eine Erinnerung an Solferino› inspiriert wurde, das zu einer wahrhaften Errungenschaft der Zivilisation führte, dem Internationalen Roten Kreuz», schreibt der italienische Soziologe Costantino Cipolla im Buch «Die Schlacht von Solferino und San Martino».

In dieser Stadt, wo überall Tote und blutüberströmte Verletzte lagen, wo Schmerz und Tod so omnipräsent waren, sei er sich der zentralen Bedeutung des Satzes «Wir sind alle Brüder» bewusst geworden.

Daraus sei ein bescheidenes Buch mit grossen Ideen entstanden, dass zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit der in Kriegen leidenden Bevölkerung geführt habe.

Keine Klassenschranken

In einem Beitrag in Cipollas Buch verweist Barbara Baccarini auf die Rolle der Frauen in der Provinz Mantua und vor allem jener in Castiglione. Sie erzählt namentlich von den Marketenderinnen, die das eigene Leben aufs Spiel setzten, die trotz gegnerischem Feuer die Soldaten mit Essen und Trinken versorgten.

So wurde etwa die Marketenderin Serafina Donadevi mit einer militärischen Medaille dafür ausgezeichnet, dass sie sich inmitten der Schlacht um die verwundeten Soldaten gekümmert hatte.

Laut Boccarini kannte die Solidarität der Frauen keine Klassenschranken. Sie spricht von den einfachen Frauen, die Verbände herstellten und von den Adligen, die ihre Häuser zu Krankenstationen umfunktionierten.

Die Milaneser Adligen hätten für die medizinische Versorgung der Soldaten die renommiertesten Ärzte gerufen, so Baccarini. Viele von ihnen hätten ihren Lebensstandard drastisch eingeschränkt und grosse Opferbereitschaft gezeigt.

Toleranz im Krieg

Auch Dunant sprach von der Solidarität der Frauen. Er beschrieb, wie sie, so bald ein Konvoi ankam, auf die Kutschen stiegen, die Verbände wechselten und die Wunden wuschen. Trotz dem aussergewöhnlichen Einsatz der Frauen fehlte es an Spezialisten, wie Dunant betonte.

So entstand in Castiglione die Idee von Solidarität und Toleranz im Krieg. 150 Jahre nach der Schlacht von Solferino knüpft die Stadt an die Geschichte an: Sie renoviert das Internationale Museum des Roten Kreuzes, das von Frauen geführt wird.

Françoise Gehring, Castiglione delle Stiviere, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das 1863 in Genf gegründet wurde, ist in 80 Ländern tätig.

Es hilft Opfern von Krieg und interner Gewalt und agiert als neutraler Vermittler in Konflikten. Das IKRK-Hauptquartier ist in Genf.

Zudem gibt es 186 nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Sie bilden das Rückgrat der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.

Jede nationale Gesellschaft beschäftigt Freiwillige und Angestellte.

Die nationalen Gesellschaften sind in der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften zusammengefasst, welche 1919 in Paris gegründet wurde.

Die Föderation hat ihren Hauptsitz ebenfalls in Genf und beschäftigt weltweit 1300 Personen.

Rund um den Globus sind etwa 100 Millionen Mitarbeitende, Mitglieder und Freiwillige für das Rote Kreuz und den Roten Halbmond im Einsatz.

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