Die Spinne und die Mücke
Für heute Montag wird in Lugano das Urteil im Prozess gegen den mutmasslichen Geldwäscher und Finanzjongleur der Mafia, Francesco Moretti, erwartet.
Erstmals in der Schweizer Justizgeschichte dürfte es in einem namhaften Fall zu einer Verurteilung wegen Beteiligung an einer Kriminellen Organisation – der Mafia – kommen.
«Wenn es am Ende dieses Prozesses nicht zu einer Verurteilung wegen Artikel 260ter kommt, wird es wenig Chancen geben, dass der Artikel je in der Schweiz angewandt wird», erklärte der Tessiner Generalstaatsanwalt Bruno Balestra im Verlaufe des zweiwöchigen Prozesses. Er vertrat die Anklage gegen Francesco Moretti.
Der Artikel 260ter im Schweizerischen Strafgesetzbuch war am 1.August 1994 in Kraft getreten und ist somit noch keine 10 Jahre alt und. Eingeführt worden war der Artikel in Folge von Geldwäscherei- und Drogenhandel-Skandalen wie «Pizza Connection», um im Kampf gegen das organisierte Verbrechen bessere Instrumente in der Hand zu haben.
Festgehalten wird darin, dass mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft wird, «wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern.»
Verfahren Michailow ohne Erfolg
Der Artikel ergänzte die einige Jahre zuvor eingeführten Geldwäscherei-Normen. Er geht von der Erkenntnis aus, dass im organisierten Verbrechen legale und illegale Aktivitäten eng verflochten sind. Diese Verflechtung in Politik, Wirtschafts- und Finanzsystemen mache die Bekämpfung des organisierten Verbrechens extrem schwierig, hält ein Arbeitspapier der Eidgenössischen Finanzverwaltung fest. Der einzelne Straftatbestand sei nicht immer nachzuweisen.
In der Praxis bewährte sich der Artikel bisher allerdings wenig. 1998 hatte der Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa in einem Aufsehen erregenden Verfahren versucht, den Russen Sergei Michailow mit dem Artikel 260ter als Mafioso an die Wand zu nageln. Doch der Schuss ging nach hinten los. Der Kanton Genf musste Michailow schliesslich gar 810’000 Franken Wiedergutmachung bezahlen.
In «Lagebericht 2000» hielt das Bundesamt für Polizei fest, dass es in der Justizpraxis noch nicht gelungen sei, den Artikel 260ter auf Gruppen anzuwenden, «deren Organisationsstruktur es ausschliesst, einer Person ein bestimmtes Verbrechen anzulasten.» Der Artikel 260ter sei nur in sehr marginalen Fällen zur Anwendung gekommen. Es existierten somit noch keine Beispiele, welche die Schlagkraft des Artikels 260ter bewiesen.
«Ich bin kein Mafioso»
Roberto Macconi, der Verteidiger von Francesco Moretti im laufenden Prozess von Lugano, erklärte in seinem Plädoyer, dass der Artikel 260ter eigentlich einen Tabubruch für das Schweizer Rechtsverständnis darstelle: «Du wirst nicht dafür bestraft, was du gemacht hast, sondern für das, was du bist, nämlich Teil eines bestimmten Systems.»
Gleichwohl anerkannte Macconi – zur Überraschung der Prozessbeobachter – den Anklagepunkt der Kriminellen Organisation in einem Fall für seinen Mandanten. Allerdings nur in der schwächeren Form von «Unterstützung» einer kriminellen Organisation. Es geht um die so genannte Operation «Coccodrillo», in deren Rahmen Moretti rund 55 Millionen Lire für den Clan Marando gewaschen haben soll.
12 Millionen Dollar Bargeld, die nach der Verhaftung Morettis im August 2000 in dessen Tresor der Kanzlei gefunden wurden, gehörten zu dieser Operation und können somit nach einer Verurteilung in die Staatskasse des Kantons Tessin fliessen.
Macconi relativierte in seinem Plädoyer auch Aussagen von Moretti. Dieser hatte im Gegensatz zu seinem eigenen Verteidiger während des Prozesses stets behauptet: «Ich war nie ein Mafioso, ich bin es nicht und werde es nie sein.» Und dies, obwohl er zu Bossen der Mafia auch privat enge Bindungen eingegangen war. Moretti ist beispielsweise Taufpate der Tochter von Mafia-Boss Giuseppe «Ciccio» Sergi.
Bankier oder Geldwechsler?
Gleichwohl bestehen zwischen Anklage und Verteidigung im Prozess enorme Unterschiede in der Interpretation, was es bedeute, ein Mafioso zu sein. Für Macconi war Moretti allenfalls eine Mücke, die im Netz der grossen Mafia-Spinne hängen geblieben ist. Er sei nicht Bankier der Mafia, wie von der Anklage behauptet, sondern nur «ein schlichter Geldwechsler» gewesen.
Für Chefankläger Balestra, der 17 Jahre Zuchthaus für Moretti forderte, war der ehemalige Anwalt hingegen ein wichtiges Glied in einer Kette. Der Anwalt habe genau gewusst, was er getan habe, als er Geld für berühmte Mafia-Familien Italiens gewaschen habe. Das Zusammenspiel habe bestens funktioniert.
Balestra klagte den 62-jährigen Ex-Anwalt aus Kalabrien nicht nur wegen Unterstützung einer kriminellen Organisation an, sondern auch wegen Geldwäscherei, Finanzierung von Drogenhandel und Betrug.
Gemäss Anklage wurden bei den Finanzoperationen mehr als 60 Millionen Franken für die drei Mafia-Clans N’drangheta, Camorra und Cosa Nostra via Schweiz verschoben. Es handelt sich im Fall Moretti damit auch um einen der grössten Geldwäschereiprozesse der Schweiz überhaupt. Das Urteil wird für Montagabend erwartet.
Gerhard Lob, Lugano
Der Tessiner Generalstaatsanwalt Bruno Balestra hat für den Anwalt Francesco Moretti eine Haftstrafe von 17 Jahren gefordert. Moretti riskiert, als erster Angeklagter in der Schweiz wegen Zugehörigkeit zur Mafia verurteilt zu werden.
Der 1994 eingeführte Tatbestand der Kriminellen Organisation fand erstmals seit dem Freispruch des Russen Michailow in Genf bei einem bedeutenden Prozess Anwendung. Der Prozess in Lugano wird insofern aufzeigen, ob der entsprechende Artikel 260ter des Strafgesetz-Buches überhaupt praxistauglich ist.
Für Balestra steht fest, dass Moretti für Mafia-Clans über 60 Mio. Franken Drogengelder gewaschen hat und durch seine privaten Verbandelungen ein wichtiges Glied im Spinnennetz der Mafia war. Für die Verteidigung war Moretti nichts als eine Mücke, die zufällig im Netz hängen blieb.
Es handelt sich um einen der grössten Geldwäscherei-Prozesse in der Schweiz. Das Urteil wird für Montag erwartet.
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