Die unglücklichen Abenteuer eines Gründervaters
Wenn Christoph von Graffenried gewusst hätte, was ihn in Amerika erwartete, so hätte er wohl gar nicht erst den Atlantik überquert.
Auf der Suche nach seinem Glück konnte der Baron aus Worb den Verlockungen der versprochenen Schätze jedoch nicht widerstehen. Stattdessen stiess er auf politische Unruhen, Aufstand der Indianer, schlechte Ernten und Siedler, die er nicht mochte.
«Erfund ich Sie meistends Gottlose aufrührische Leuth, darunter Mörder, Dieben, Ehebrecher, Flucher und Lesterer … was ich mit ihnen ausgestanden, das weiss Gott», schrieb von Graffenried in seinen Aufzeichnungen zur Gründung New Berns (Originalzitate aus den Aufzeichnungen).
Die harschesten Worte nutzte er für einige seiner Schweizer Gefährten, die er als «…excrementz dess ganzen Berngebiets…» bezeichnete.
Wenn dies die Freunde des Siedlungsgründers waren – zumindest hätten sie zu den Leuten auf seiner Seite zählen sollen, – ist es kaum eine grosse Überraschung, dass New Bern einen schlechten Anfang nahm.
De Graffenried war entweder ein Mann am falschen Ort zur falschen Zeit – so kann die Geschichte interpretiert werden – oder ein noch grösserer Betrüger als die Siedler, die er offenbar derart verachtete.
Nach Ansicht von Matt. H. Allen, einem Gründer der Goldboro News, einer Zeitung North Carolinas, war Christoph von Graffenried wegen seines Verrats verhasst.
Allens Einschätzungen kommen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Er konzentrierte sich auf die Gefangennahme von de Graffenried und dem englischen General-Feldvermesser John Lawson durch lokale Indianer. Lawson wurde zu Tode gefoltert, der Schweizer kam wieder frei.
Veruntreuung
Allen schrieb, dass von Graffenried die Indianer überzeugt habe, dass er ein König sei, und dass es daher sehr unweise wäre, wenn ihm die Indianer Schaden zufügen würden.
Für die Verteidigung von Lawson habe er sich aber nicht eingesetzt. Nachdem er wieder freigekommen sei, schrieb Allen, habe von Graffenried die «Siedler verlassen, ihr Land belehnt und ihr Geld veruntreut, wie sich in einer Petition von Pfälzern zeigt, die diese 1714 an den englischen König» gerichtet hatten.
Der verstorbene Historiker Hugh Talmage Lefler stimmte mit Allens Sicht zu einem gewissen Grad überein. Von Graffenried habe Lawson nicht gemocht, wie der Schweizer in seinen Memoiren festgehalten hatte: «Wenn Lawson uns nicht von unseren ursprünglichen Plänen abgebracht hätte [eine Siedlung in Virginia zu errichten] …, wo wir mehr Sicherheit gefunden, mehr Unterstützung und Hilfe erhalten hätten, wären wir allem Anschein nach mit unserem Vorhaben nicht gescheitert.»
Vielleicht war de Graffenried wirklich nur ein Opfer von Umständen, über die er keine Kontrolle hatte.
Er kann als ein Mann gesehen werden, der vor einem unlösbaren Dilemma stand: Unter den Engländern, welche die Kolonien in North Carolina verwalteten, den Deutsch sprechenden Siedlern und den lokalen Indianer-Stämmen, mit deren Landrechten ein Doppelspiel getrieben worden war, herrschten Eifersucht und Misstrauen.
Vom Pech verfolgt
Wie auch immer, das Glück schien kaum je auf der Seite von von Graffenried zu stehen, der er aus einer renommierten Patrizierfamilie aus dem Kanton Bern stammte.
Vor seinem missglückten Abenteuer in North Carolina hatte er sein Glück auch in Frankreich und England versucht, schliesslich hatte ihm sein Vater das Geld gekappt und ihn so nach Bern zurückbeordert, wo er sich erneut verschuldete.
Dies war zu einer Zeit, als die Berner Behörden nach Wegen suchten, in einer der englischen Kolonien Land zu kaufen, um einige Hundert «unerwünschte Elemente» – Arme und religiöse Dissidenten, meist Täufer – loszuwerden und dort anzusiedeln.
Von Graffenried sah dies als Chance, seine finanziellen Verluste ausgleichen zu können. So kaufte eine Firma, der von Graffenried angehörte, grosse Parzellen Land von den «Lord Proprietors», einer Gruppe Adliger, die von der englischen Krone die Herrschaft über Carolina zugestanden erhalten hatten.
Die Pläne zur Ansiedelung von Schweizern wurden schliesslich ausgeweitet und die Siedlergruppe um einige Hundert so genannte Pfälzer vergrössert. Es handelte sich um protestantische Flüchtlinge aus dem Rheinland, die in England in Lagern an der Themse lebten.
Im Januar 1710 segelte Lawson, der mit von Graffenried arbeitete, mit einer ersten Gruppe von 650 Pfälzern Richtung Amerika los, während der Berner in England auf die Siedler aus der Schweiz wartete.
Die Reise der Pfälzer über den Atlantik sollte ein Omen sein für das, was noch kommen sollte: Etwa die Hälfte der Siedler starb während der stürmischen Überfahrt an «Schifffieber» und anderen Krankheiten.
Von Graffenried, der neu ernannte «Landgraf von Carolina» und «Baron von Bernburg», kam in Begleitung der Schweizer ein paar Monate später, im September, nach North Carolina. Am Zusammenfluss von Neuse und Trent legte er die Siedlung New Bern an.
Viel Glück war den ersten Siedlern nicht beschieden. Schon bald begannen die in zeitgenössischen Dokumenten als Indianerkriege bezeichneten Kämpfe mit den lokalen Stämmen. Die Kolonie wurde von den Tuscarora-Indianern überrannt und praktisch ausgelöscht.
Von Graffenried verliess New Bern 1713 und kehrte 1714 in die Schweiz zurück. Die weiteren 296 Jahre der Geschichte New Berns, das sich nach den Indianerkriegen wieder erholte, sollte von anderen geschrieben werden.
swissinfo.ch, Dale Bechtel
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
Christoph von Graffenried wurde 1661 in Worb geboren, dem Dorf seiner Vorfahren, wo er 1743 auch starb. Sein Vater Anton war der Schlossherr von Worb und hatte eine untergeordnete Stelle in der Regierung.
Christoph von Graffenried studierte an den Universitäten in Heidelberg und Leyden. Während Reisen nach London machte er die Bekanntschaft des Herzogs von Albemarle und anderen Adligen der Lord Proprietors von Carolina.
Wieder in der Schweiz, traf er Franz Ludwig Michel. Dieser war schon in Virginia gewesen und konnte von Graffenried dazu bewegen, mit ihm in eine Gesellschaft zu investieren, um in Amerika Silberminen auszubeuten und Schweizer, vor allem Täufer, in Pennsylvanien und Virginia anzusiedeln.
Der ursprünglich Plan wurde im Verlauf der Umsetzung ausgeweitet: Die Gesellschaft beschloss, auch weitere Auswanderer, darunter nach England geflüchtete protestantische Pfälzer aus dem deutschen Rheinland in Carolina anzusiedeln.
Von den Lord Proprietors kaufte die Gesellschaft gegen 19’000 Morgen (1 Morge entspricht etwa 4047m ²) Land an den Flüssen Neuse und Trent, darunter das Land, auf dem später New Bern zu stehen kommen sollte, sowie am White Oak, für den von Graffenried den indianischen Namen Weetock benutzte.
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