«Die Wahrheit wird nie ans Licht kommen»
Der Swissair-Prozess geht dem Ende entgegen. Die Anklage hat harte Strafen für die Verantwortlichen verlangt. Doch nicht einmal die ehemaligen Angestellten setzen grosse Hoffnungen in dieses Strafverfahren.
Dabei stellt der Zusammenbruch der einstigen Vorzeige-Fluggesellschaft für das damalige Personal immer noch ein Trauma dar.
Etliche Mitarbeiter wurden damals entlassen. Einige fanden umgehend eine neue Stelle, andere blieben lange ohne Job. Manche befinden sich bis heute in prekären Verhältnissen.
Zu den goldenen Zeiten galt es als Ehre, für die Swissair zu arbeiten. Sie war ein Symbol für helvetische Effizienz, Qualität und Pünktlichkeit. Viele liessen sich im Telefonbuch als «Swissair-Angestellter» aufführen.
2001 kam dann der Schock. Die Fluggesellschaft ging Konkurs, die Flugzeuge mit dem Schweizer Kreuz auf der Heckflosse blieben am Boden, weil kein Geld mehr vorhanden war, um das Benzin zu bezahlen.
Anstelle des einstigen Stolzes steht heute Desinteresse, manchmal sogar Scham. Es ist schwierig, ehemalige Swissair-Angestellte zu finden, die in der Öffentlichkeit von den chaotischen Stunden und Tagen sowie der Zeit danach reden wollen.
Der Konkurs der Swissair war der grösste Firmenzusammenbruch, der sich in der Schweiz je ereignet hat. Er wurde vom Volk als nationaler Schicksalsschlag erlebt, aber natürlich insbesondere von den 9000 Angestellten, die ihren Job verloren.
Das waren zwar sehr viele Personen, aber doch weniger, als zu Beginn der Krise befürchtet, als man sogar von 40’000 Entlassungen sprach. Denn auch in den Zulieferbetrieben mussten viele Leute um ihren Job bangen.
Mehr als die Hälfte der Entlassenen konnte schon bald in die neu gegründete Gesellschaft Swiss eintreten. Viele konnten im Banken- oder Versicherungsbusiness einen neuen Arbeitsplatz finden oder für die Hotellerie umlernen. Ein ansehnlicher Teil, darunter auch Piloten und Techniker, hatten allerdings Mühe, eine neue Arbeitsstelle zu finden.
Ohne Sozialplan
«Ich hatte Glück», erzählt ein ehemaliger Swissair-Kaderangestellter, der anonym bleiben will. «Ich fand sofort eine ebenbürtige Stelle», sagt er im Gespräch mit swissinfo. «Einige meiner Kollegen, die teilweise 20 bis 30 Jahre bei der Swissair arbeiteten, waren hingegen jahrelang arbeitslos.» Sie verloren nicht nur ihre Stelle, sondern auch ihre Ersparnisse.
Besonders hart traf es diese Angestellten, weil der Liquidator der Gesellschaft, Karl Wüthrich, keinen Sozialplan erstellte. Gegen diesen Entscheid kämpfen die Betroffenen bis heute vor Gericht an.
Vom laufenden Prozess verspricht sich der Gesprächspartner wenig. «Die Wahrheit wird nie ans Licht kommen. Aber meiner Meinung nach war das Gebälk schon lange morsch. Die Talfahrt begann 1998, als der damalige Konzernchef Philippe Bruggisser Manager anstellte, die vom Aviatik-Business keine Ahnung hatten und auch die Schweiz nicht kannten. Ab diesem Moment ging es mit der Firmenkultur der Swissair bachab.»
Prozess als Alibiübung
Diese Sicht der Dinge wird von weiten Teilen des damaligen Swissair-Personals geteilt. Die Enttäuschung spiegelt sich auch im schwachen Publikumsaufmarsch in Bülach. Abgesehen von den Anhörungen, in denen Mario Corti als letzter Konzerchef der SAirGroup aussagte, hat sich fast kein Ex-Swissair-Angestellter in die Stadthalle von Bülach begeben.
Auch für die Gewerkschaft der Piloten stellt der Prozess mehr eine Alibiübung denn eine echte Chance zur Aufarbeitung der Vergangenheit dar. «Ich erwarte höchstens, dass der Prozess einen Beitrag leistet, damit ähnlich falsche Entscheide bei grossen Firmen nicht mehr gefällt werden und die Kontrollmechanismen besser greifen», sagt Christian Frauenfelder, Präsident von Aeropers.
Viele der ehemaligen Swissair-Piloten sind bei der neuen Fluggesellschaft Swiss untergekommen. Doch gerade Piloten mit wenigen Flugstunden mussten zu Gesellschaften im Ausland oder auch zu Low-Cost-Carriers gehen. Bei den Arbeitsbedingungen mussten sie grosse Abstriche machen.
Stiftung für Härtefälle
«Ich habe langsam keine Hoffnung mehr, eine feste Arbeitsstelle zu finden», sagt eine Frau, die bei Gate Gourmet beschäftigt war. Sie ist resigniert. Vor dem Grounding arbeitete die 49-Jährige im Catering-Dienst. Seither lebt sie von der Sozialhilfe und einigen Gelegenheitsjobs in der Restauration.
Vor kurzem hat sie eine Krankenschwestern-Ausbildung absolviert, die von der Stiftung Härtefälle finanziert wurde. Die mit einem Vermögen von vier Millionen Franken ausgestattete Stiftung wurde eigens für Swissair-Mitarbeiter geschaffen, die sich in sehr schwierigen Situationen befinden.
«Ich lebe getrennt vom Partner und habe ein Kind. Daher kann ich keine Arbeiten mit Spät- oder Nachtschichten annehmen, doch genau diese Schichten werden mir ständig angeboten.» – Der Swissair-Prozess in Bülach lässt sie vollkommen kalt.
Sie kann auch nicht mehr auf die Stiftung Härtefälle hoffen, denn im Laufe des Monats März stellt diese Stiftung ihre Arbeit ein, nachdem sie Hunderten von Personen geholfen hat.
swissinfo, Raffaella Rossello
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Das Strafverfahren gegen das ehemalige Swissair-Kader läuft seit 16.Januar am Bezirksgericht Bülach. Die Hauptverhandlung geht bis 9.März.
19 Angeklagte müssen sich vor Gericht verantworten. Hauptvorwürfe sind ungetreue Geschäftsführung, Misswirtschaft, Gläubigerschädigung und Gläubigerbevorzugung.
Die Staatsanwaltschaft Zürich hat Gefängnisstrafen von 6 bis 28 Monaten beantragt sowie Bussen zwischen 38’000 und einer Million Franken.
Von den 19 Angeklagten steht Mario Corti als letzter Konzernchef der SAirGroup beosnders im Visier der Ankläger. Er soll 6 Monate hinter Gitter und eine Million Franken Busse bezahlen.
Die Mehrheit der Angeklagten sind Topmanager des Schweizer Wirtschaftslebens. Sie haben die Vorwürfe zurückgewiesen und die Aussage vor Gericht verweigert. Ihre Verteidiger plädierten auf Freispruch.
Im einem weiteren, zivilrechtlichen Verfahren wird die Buchhaltung der Fluggesellschaft vor dem Konkurs untersucht werden.
Sechs Jahre nach dem Grounding scheint die Schweizer Zivilluftfahrt die Turbulenzen überstanden zu haben. Die neue Gesellschaft Swiss gehört zur Lufthansa und befindet sich im Aufwärtstrend.
Für das erste Halbjahr 2006 hat Swiss erstmals schwarze Zahlen präsentiert (Gewinn von 76 Millionen Franken, davon 72 Millionen im zweiten Vierteljahr).
Im ersten Semester 2005 hatte Swiss noch ein Defizit von 89 Millionen Franken verkraften müssen.
Im ersten Halbjahr 2006 beschäftigte Swiss 5715 Personen (-16,4 Prozent im Vorjahresvergleich).
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