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Die Wiederauferstehung eines Champions

24 Stunden nach dem ersten Lauberhorn-Podestplatz seit neun Jahren legte Bruno Kernen noch einen Zacken zu und sorgte sensationell für den ersten Schweizer Abfahrtssieg seit 1998.

Das Schweizer Abfahrtsteam ist damit endgültig aus der Versenkung getreten.

Bruno Kernens Erfolg hat viele Väter, aber auch einen Übervater. Seit der Rückkehr von Karl Frehsner hat das Schweizer Männer-Team nicht nur den Abfahrtsbann gebrochen, sondern in diesem Winter bereits fünf Siege errungen und damit die Bestleistung aus dem Jahr 1997 egalisiert. Seither war die Männer-Mannschaft, was Siege anbetrifft, nie mehr so erfolgreich.

«Karl hat mir die Zeit gegeben, um mich zu entwickeln», sagt Kernen, «er hat schon Forderungen gestellt, mich aber nicht unter Druck gesetzt.» Im letzten Jahr, als vom damaligen Duo Bartsch/Züger fast ultimativ Podestplätze gefordert wurden, mutierten die Abfahrer zu Buhmännern der Nation, nachdem Franco Cavegn als Bester über einen 12. Platz nicht hinausgekommen war.

Frehsner konnte die Gratulationen nur mit der linken Hand entgegennehmen; an der rechten, die dick bandagiert war, hatte er sich den Daumen ausgerenkt.

Kernens Wechsel von Head zu Rossignol

Dank des Sieges und des 4. Platzes von Ambrosi Hoffmann liess sich verkraften, dass die übrigen Schweizer in Wengen keine überdurchschnittlichen Leistungen boten. Rolf von Weissenfluh als nächstbester wurde 13., Didier Défago 19., Franco Cavegn 20. und Didier Cuche sogar nur 26.

Von Weissenfluh war damit noch bester auf Head-Ski, die am Lauberhorn arge Probleme bekundeten. Sogar Weltmeister Hannes Trinkl musste sich mit einem 17. Platz begnügen und war damit so schlecht wie schon lange nicht mehr.

Im letzten Jahr war Kernen ebenfalls noch Head-Pilot. Nun trug der Berner Oberländer seiner neuen Firma Rossignol den ersten Abfahrtssieg seit sieben Jahren ein. Auch der letzte Weltcupsieger (und Weltmeister) hiess Kernen. Beim damaligen Doppeltriumph in Veysonnaz war der heutige Rossignol-Rennchef François Sedan sein Trainer.

Emotionen wie in Salt Lake City

Kernen bezeichnete das Warten am Ziel als fast anstrengender als die Fahrt, bei der er vor allem auf den technischen Sektionen (Bestzeit beim Brüggli und Ziel-S) brillierte. Aber auch auf den übrigen Abschnitten und Gleiterpassagen war er nirgends schlechter als Vierter. Stephan Eberharter, der heuer jedes Mal siegte, wenn er ins Ziel kam, war dagegen nur im Startabschnitt minim schneller als Kernen.

Am Ziel verdrückte Kernen zwei, drei Tränen. Solche Emotionen erlebte er zuletzt an den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City – aber aus umgekehrten Grund. Damals hatte er in der internen Ausscheidung die Qualifikation für die Olympia-Abfahrt verpasst und danach den Frust mit einer Golf-Woche in Florida zu neutralisieren versucht. Ein anschliessender 7. Platz in Kvitfjell baute ihn wieder auf.

«Das war ein sehr wichtiges Rennen», bekannte Kernen, der nun als 30-Jähriger seine Karriere neu lanciert – für einen Abfahrer das beste Alter. Auch Stephan Eberharter und der grosse Luc Alphand setzten erst in diesem Alter zu ihren Siegesserien an.

Hoffmann auf dem Weg nach ganz oben

Im Schatten von Bruno Kernen bot ein anderer Schweizer eine Glanzleistung. Es scheint Ambrosi Hoffmanns Schicksal zu sein, dass seine besten Leistungen durch andere Ereignisse überstrahlt wurde. Vor einem Jahr war er in Val d’Isère Vierter geworden, als sein Freund und Teamkollege Silvano Beltrametti schwer verunglückte. Diesmal stand Kernen im Zentrum.

«Von Brunos Triumph kann die ganze Mannschaft profitieren», sagt der Davoser, «meine Zeit kommt noch, vielleicht schon in Kitzbühel.» Wer auf einer Strecke wie in Wengen, die ihm bisher gar nicht zusagte und auf der er nie besser als 14. war, Siebenter und Vierter wird, der kann überall aufs Podest fahren – und gewinnen. Der nächste Siegfahrer hinter Kernen bekommt bereits Konturen.

swissinfo und Agenturen

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